MandysNotizBlog

Die richtige Arztwahl

. . . wieder ein Jahr vorbei

Irgendwann erreicht man ein Alter, in dem es besser wäre morgens einen Stuckateur kommen zu lassen, als Make-up aufzulegen. Die Falten werden mehr, das Haar wird schütter, der Rücken kracht, der Auspuff leckt.

Mein Mann hat nächste Woche Geburtstag. Und kommt in ein (seiner Meinung nach) kritisches Alter, das nicht mehr spurlos an ihm vorbei geht. „Jetzt dauert es nicht mehr lang und ich werde inkontinent.“
Mr. Inkontinenzia 2021? Ein ‚Auslauf’modell.
Ich lache. „Blödsinn. So schnell wird man nicht inkontinent. Mach dir lieber Gedanken wegen deiner Stirnglatze.“ Ich ergreife die Flucht vor der flugfähigen Seife.
So wie ich hat er einen körperlich anstrengenden Beruf, der langsam seinen Tribut fordert. Manchmal das Knie, oft der Rücken, noch öfter die Gesundheit.
„Früher hab ich das viel besser weg gesteckt.“

Für mich ist Alter ja relativ. Komme ich morgens gut aus dem Bett, fühle ich mich wie 18. Hab ich mich die ganze Nacht rum gewälzt, fühlt man sich halt auch wie ein achtzigjähriger Pfirsich. Zugegeben, die Pfirsichzeit nimmt zu und das Leben wird auch nicht leichter. Man wird einfach öfter mal krank.

Die Sache mit dem Hausarzt

Und daraus ergibt sich ein Problem. Wir haben keinen Hausarzt. Okay, wir haben einen Arzt, den wir aufsuchen um uns eine Krankmeldung zu holen. Die unwürdige Aufgabe fiel ihm zu, weil er um die Ecke ist. Würde ich zu ihm gehen, wenn ich befürchte eine ernsthafte Erkrankung zu haben? Oh Gott, nein. Der Mann scheint auf einer Emotionsebene mit einem Stein und seine Empathie reicht auf einen Teelöffel.

Um ehrlich zu sein, hab ich mir um das Thema Hausarzt selten Gedanken gemacht.
In meiner Kindheit hatten wir im Dorf eine Ärztin, an der ich heute rückblickend kein gutes Haar lassen würde. Es gab im Umkreis sonst niemanden. Ein paar Ereignisse hatten ihr den unehrenhaften Beinamen ‚Sterbefix‘ eingebracht. Ich formuliere es mal so: Wenn ein Kind mit einem Fahrrad ungebremst einen Berg hinunter in ein Garagentor knallt, dabei fast einen Finger in den Speichen und ein Auge an den Lenker verliert, in der Nacht schreiende Kopfschmerzen hat, ist ein Mullverband nicht die richtige Wahl. Ja, das war ich. Glück im Unglück, dass wohl nur ein paar Schrauben im Oberstübchen durcheinander gefallen sind.

Das ‚Thema‘ Hausarzt kam bei uns erst auf den Tisch, weil ich jetzt mein letztes PJ-Tertial bei einem arbeite. Und sehe, wie es sein kann oder besser, sein sollte.

Der Hausarzt . . .

. . . ist heute meist ein Facharzt der Allgemeinmedizin. Sein Arbeitsbereich ist die Grundversorgung aller Patienten mit körperlichen und seelischen Gesundheitsstörungen, der Vorsorge und Wiedereingliederung (Rehabilitation). Der erste ärztliche Ansprechpartner bei allen Gesundheitsproblemen.

Hausärzte betreuen im Durchschnitt 52 Patienten am Tag (Quelle: aerzteblatt). Eine Fachrichtung, die schwindet und von anderen Fachrichtungen belächelt wird. Hausärzte fehlen fast überall. Sind die, die am wenigsten verdienen, aber laut einer Statistik am zufriedensten sind, wenn sie abends nach Hause gehen.

Ich erinnere mich an den Ausspruch eines Chefarztes in der Chirurgie: „Wenn hier jemand keine Lust hat richtige Arbeit zu leisten, kann er ja aufs Land gehen und als Hausarzt Bauern behandeln.“
Nach Sprachlosigkeit folgte mein imaginärer Mittelfinger. Was wohl sein Hausarzt dazu sagt?

Ein Hausarzt ist für mich, in meiner altmodischen Vorstellung, ein Arzt der Familie. Er kennt sie schon lange und ist über Jahre freundlich mit ihnen verbunden. Schön, wenn altmodische Vorstellung auf Realität trifft.
Ich selbst hatte, bevor ich mein PJ beim Hausarzt antrat, ein erstes Gespräche mit ihm.
‚Zum Kennenlernen‘ wie er sagte. Natürlich. Ich möchte auch jemanden kennenlernen, bevor ich 4 Monate mit ihm zusammen arbeite.

Bei ersten Gesprächen bin ich sehr angespannt und schüchtern, fast schon ängstlich. Befürchte mich beim Sprechen zu verhaspeln und tu es auch oft.
Er bat mich ins Zimmer und entschuldige sich kurz. Ich war überrascht von den bequemen Sitzmöglichkeiten und spürte meine fallende Anspannung. Der Schreibtisch zwischen mir und ihm: Gläsern, sauber, geradlinig. Ich möchte es gern ‚raumgebend‘ nennen. Als ich davor saß, hatte ich das Gefühl, da ist nichts was zwischen uns steht und trotzdem genug Abstand, um sich nicht bedrängt zu fühlen.

Seine Gesundheit in vertrauensvolle Hände geben

Er setze sich an den Computer, der nur einen kleinen Teil des Tisches einnahm. Seine Augen lächelten mich an. Angenehm in Zeiten der Maske, wenn man sich fast nur an ihnen orientieren kann. Er begann das Gespräch. Zwanglos, entspannt. Erzählte von der Praxis, dem Ablauf und spielte mir immer mal wieder den Ball zu, in dem er ein paar Fragen stellte. Und ehe ich mich versah, plauderten wir aus dem Nähkästchen. Ein Meister des Smalltalks.

‚Mit einem Hausarzt muss man Lachen, Weinen, Streiten und sich wieder Vertragen können.‘

Die puristische Ehrlichkeit, die er den Patienten als Arzt und Mensch entgegen bringt, erhält er im Gegenzug auch zurück. Man kann einfach gar nicht anders.
Und ich wusste nach diesem Gespräch, von so einem Arzt könnte ich Nachrichten wie schlechte Blutwerte und Schlimmeres ertragen.

Gerade wenn man älter wird und die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung steigt, eine schlechte Diagnose zu bekommen die Nerven schier zum Zerreißen bringt, finde ich, dass der Überbringer eine Schlüsselrolle einnimmt. Natürlich macht es die Nachricht selbst nicht besser. Aber zu wissen, dass da jemand ist, dem ich meine kostbare Gesundheit anvertrauen kann, der mit ihr umzugehen weiß und mich als Menschen dahinter nicht vergisst, nimmt die Dynamik aus der Angst.

Mein Mann möchte jetzt Patient bei ihm werden.
„Liebst du mich, auch wenn ich kahl werde?“
„Du bist zwar kein Bruce Willis, aber ich bleib trotzdem bei dir.“
„Yippie-ya-yeah, mein Schweinebäckchen.“

Eine Hausarzt-Patienten-Beziehung hält länger als eine durchschnittliche deutsche Ehe. Drum prüfe, wer sich ewig bindet.

Bleibt gesund, eure Mandy

3 Kommentare

  1. Ich habe so herzlich gelacht. Schreibst du Bücher? Du hast so eine erfrischende Art beim Schreiben, da kommt man sofort von depri auf „hier bin ich“. Das sind Lachsalben auf die Seele. Toll, echt., bin schon jetzt ein Fan von dir.😍

  2. Ich hatte einen wunderbaren Hausarzt einfühlsam, kompetent und verständnisvoll. Leider ist er viel zu früh gestorben. Seine Nachfolgerin, schnippisch, ungerecht und mit null Emphatie. Doch die Praxis erinnerte mich mit einem warmen Gefühl an meinen vorherigen Arzt. Als wir letztes Jahr umzogen meinte sie ich solle mir doch bitte einen neuen Hausarzt suchen. Auf Nachfrage gab sie zur Begründung an, dass sie keine Hausbesuche mache. Und schließlich käme ich mit 66 Jahren ja in das Alter wo man ständig den Arzt zu sich nach Hause rufen würde. Was war nochmal mit fehlender Emphatie? Und ach ja, Menschenkenntnis? Ich gehöre ( leider) zu der Sorte Mensch, die selbst mit dem Kopf unterm Arm noch in die Praxis stiefeln würde…

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