MandysNotizBlog

Me, myself and I

Ich bin`s. Für die, die mich kennen: Mir geht’s gut.
Mein Leben war spektakulär unaufregend. Regelrecht eintönig. Warum hab ich also nicht geschrieben? Mich nicht gemeldet?

Die Gekrönte

Es gab so viele Momente, in denen ich an euch dachte und merkte, dass ich euch davon erzählen wollte. Im Spätsommer letzten Jahres saß ich während einer Wandertour im Harz im Schatten eines riesigen Feldahorns. Das Gras war so hoch, dass es mich fast überragte. Der Wind ließ es gemächlich hin- und herwiegen. Es war, als hätte jemand einen Orangefilter über die weite Landschaft gelegt. Der Geruch von wilden Kräutern, Gras, Wildblumen und trockener Erde lag in der Luft. Meine Hündin lag neben mir im Gras, die Nase schnuppernd in den Wind haltend. Wie in Kindertagen hatte ich einen Kranz aus weißem Labkraut gemacht, nur um zu schauen, ob ich es noch kann. Ich krönte meine Hündin. Es war ein Moment von so tiefer Ruhe und Zufriedenheit. Sie hasste den Kranz übrigens.

Ich hatte einfach nur da gesessen und nachgedacht, gestarrt und vermutlich auch etwas komisch dabei ausgesehen. Sollte das Leben nicht viel mehr aus solchen Momenten bestehen? Das nächste Mal, dass ich dies dachte, stand ich mit nackten Füßen im November im eiskalten Sand der Ostsee, während mir die Gischt um Zehen und Fesseln prickelte. Der Geruch von Seetang lag in der Luft. Trotzdem so berauschend und mitreißend, dass kein weiterer Gedanke an das Arbeitsleben möglich war.

Dann kurz vor Silvester. Wieder war ich mit meinem Hund unterwegs. Wieder im Harz. Dieses Mal machte ich einen Spaziergang, der dann doch mehrere Stunden andauerte, mich längt vergessen geglaubte Wege entlang laufen ließ und so viele wundervolle Momente beinhaltete. Wieder war Sonne im Spiel.

Diesmal aber feuchte Erde vom vielen Regen. Ich nahm mir die Zeit und wanderte durch den Ort meiner Kindheit. Erhaschte unverhofft einen Blick auf das Schlafzimmerfenster im Hinterhof des Hauses meiner besten Kindheitsfreundin. Dort war eine alte Eiche gefällt worden, die sonst den Blick darauf versperrte. Dort hatten wir an warmen Sommerabenden mit offenem Fenster in ihrem Schlafzimmer gelegen und über Jungs und die Welt gekichert. Jetzt lag sie seit über zehn Jahren auf dem Friedhof unweit ihres Elternhauses. Ich heulte. Erfolgreich hatte ich mich bisher davon gedrückt dorthin zu gehen. Vorgenommen hab ich es mir für August diesen Jahres. Dann sind wir für längere Zeit im Harz.

Ich hab eure lieben Nachrichten gelesen, die mich fragten, ob alles in Ordnung ist. Sicherlich hab ich doch irgendwas Tolles fabriziert, schließlich kann man ja nicht die ganze Zeit nur Arbeiten. Tolles ist ja auch so eine Definitionssache. Ich wünschte ich könnte erzählen, dass ich wie vor ein paar Monaten schrieb, an einer Geschichte arbeite. Ich bin leider nie über erste Kapitel hinaus gekommen. Ein gutes Kapitel und ich bin sehr kritisch, vor allem mit mir. Beim Zweiten ging mir dann auf, dass so ein Blödsinn nie jemand lesen würde. Und so hab ich’s gelassen.
Was noch? Offiziell gehöre ich zum illustren Kreis der COVID-Erkrankten. Heute ja schon fast unschicklich, wenn man es nicht hatte. Anders als gedacht, brachte ich es aber nicht an den Nasenhaaren haftend mit nach Hause, sondern mein Mann vom Frankfurter Flughafen. Naja, im Grunde der gleiche Durchgangsverkehr wie in einer großen Klinik.

Mein Immunsystem ist seit dem so ziemlich im A…. Entschuldigung. Ich vergesse meine Manieren. Früher, zu Studienzeiten, war mein Immunsystem die Dominöse aller Viren, Bakterien und Keime. Heute kommt ein Windhauch, ich niese und am nächsten Tag liege ich darnieder wie die Prinzessin auf der Erbse. Nicht, dass man sich sowas als Ärztin leisten kann. Oder darf.

Eine große Klinik ist brutal ehrlich. Oder ignorant?
Es gibt wenig Raum für Selbstentfaltung. Alles muss wie ein Uhrwerk funktionieren, denn es muss ja Geld generiert werden. War mir das vorher klar? Natürlich. (Dumm, wenn es nicht so wäre.) Wollte ich trotzdem eingestellt werden? Natürlich. Und warum? Weil es sich einfach gut im Lebenslauf macht. Puuuhhh, wie oberflächlich.
Der andere Grund ist, dass man dort einfach Dinge erlebt, die man in einem kleinen Krankenhaus nicht sieht. Und diese Erfahrungen sind mit nichts aufzuwiegen. Es sind aber auch Erfahrungen, die mich manchmal nachts nicht schlafen lassen. Ob es ein junges Mädchen ist, dem ich nach einem gescheiterten Suizidversuch eine Narkose machte, damit gebrochene Beine und Arme, Kiefer und Zähne wieder gerichtet werden oder der E-Roller-Fahrer, der im Alkoholrausch über den Lenker fiel und sich praktisch alle Gesichtsknochen brach.

Ich hoffe immer noch irgendwie, dass mein Chef beim Bewerbungsgespräch mehr in mir gesehen hat, als eine Arbeitskraft, ohne die sein Team nicht die Truppenstärke hätte, die sie aber braucht.
Wenn man oft genug gesagt und gezeigt bekommt, dass man unfähig ist, ist man irgendwann selbst davon überzeugt. Man geht nach Hause, heult ein bisschen und wälzt dann Bücher, um die Unfähigkeit zu beseitigen. Übrig bleibt Synapsengulasch. Gewürzt mit einer Prise Vorwürfen, die man sich selbst macht.

Lob ist, wenn man nicht gepeinigt wird. Das gilt zum Glück nicht nur für mich. Einmal im Monat treffen sich alle Assistenzärzte zum Umtrunk in Frankfurt. Und es sind meist die gleichen Storys. Alle wünschen sich etwas Anerkennung oder Lob. In dem Misch-Masch aus Frankfurter Kneipe, Appelwoi und angetrunkenen Kollegen fühle ich mich dann gut aufgehoben und bestätigt. Himmel, es ist wie in Grey’s Anatomy, nur das wir alle nicht überdurchschnittlich gut aussehen und nicht jeder mit jedem schläft (die Bereitschaftszimmer würden es auch nicht hergeben (schelmisch grins)).
Ich versuche es immernoch allen recht zu machen. Mit jedem auszukommen. Mit wem ich dies ausnahmslos kann ist die Pflege. Es ist noch immer die gleichen Wellenlänge (für die, die mich nicht kennen: Vor meinem Job als Ärztin war ich ziemlich lange Krankenschwester.)

Jetzt aber zu den guten Nachrichten

Arbeit ist ja schließlich verkaufte Lebenszeit. Und ich wurde im Vergleich zu früher überaus gut entlohnt. Was habe ich also damit gemacht? Genau, ich habe es investiert. In Urlaub beispielsweise. Nicht wie ihr denkt. Wir waren wie immer auf Rügen. Im November. Die Sonne im Gesicht, wenn sich die Augenlider in orange-rote Schleier verwandeln; den salzigen Wind im Haar spielend, die nackten Füße im körnig kalten Sand, unsere Hündin, die uns mit Wasser bespritzt.

Ich investierte es in Stunden mit meiner Familie, die uns im Urlaub begleitete. Wir saßen mehrere Abende zusammen, genossen gutes Essen und Trinken und ich wollte und konnte es endlich spendieren. Geschenke an Weihnachten, wie spezielle Schuhe für meine Ma, die aufgrund von Hallux Valgus Schwierigkeiten beim Arbeiten hat.
Im Herbst plane ich mit meiner kleinen Schwester nach Südkorea zu fliegen (sie hat in Seoul studiert) und werde uns den schönsten Urlaub und die beste Zeit ermöglichen. Mein letzter Auslandsaufenthalt ist fast 15 Jahre her. Ich bin so gespannt, vor Vorfreude fast berstend. So sehr, dass ich schon Hangul lerne. Und es gibt nichts worin ich schlechter bin als Fremdsprachen.

Natürlich gönne ich mir auch etwas. Vielleicht werdet ihr überrascht sein. Ich mache meinen Führerschein. Das ist etwas, was ich immer wollte, aber aus Geldmangel nie machen konnte. Wenn ihr also hört, dass es in der Frankfurter Innenstadt eine Massenkarambolage gab „Ups“, das war dann wohl ich. Wie es wohl ist, dieses Gefühl zu jeder Zeit überall hinfahren zu können, wenn man möchte?

Was das Malen angeht. Ich will nicht sagen, dass ich es aufgegeben habe. Meine Ikea-Aufbewahrungsbox mit all meinen Stiften und Pinseln staubt in einer Ecke ein. Ich habe leider die Lust daran verloren, nichts Inspirierendes gefunden. Der richtige Moment wird kommen.

Bis dahin, passt auf euch und euren Körper auf.

Eure Mandy

9 Kommentare

  1. Mandy ein wunderschön geschriebener Abriss der letzten Zeit. Lass Dich von der fehlenden Anerkennung des Chefarztes nicht runterziehen. Du bist so emphatisch, da können einige Menschen nicht mit umgehen genau so wenig wie Anerkennung spenden. Genieße die Vorfreude auf all deine geplanten Vorhaben. 🍀🌸🌺🌼💕💓

  2. So schön, von Dir zu lesen! Vielen Dank für den Einblick. Ja, Corona ist unergründlich. Es gibt leider kein Schema F. Hatte es zum 2. Mal, trotz 4fach-Impfung und hoffe u bete, dass mich Longcovid verschont. Es war sehr heftig und der böse Husten ist hartnäckig. Also jedenfalls wünsche ich Dir baldige Genesung und alles Liebe 🙂🍀💐👍

  3. Bin aus dem Ermährungsforum hierhergekommen. Du schreibst richtig gut. Bewundernswert, was du alles kannst! Ich bin nur Lehrerin, macht aber auch Spaß!
    Halte durch, auch die Assistenzarztzeit geht vorbei

    1. Ich bin über dein „nur Lehrerin“ gestolpert. Du hast meine höchste Anerkennung, bringst den Schülern Themen bei, von denen sie meistens nicht unbedingt die größte Lust haben und der „Erziehungsauftrag“ wird auch immer mehr und öfter vom Elternhaus in dir Schule verlagert. Ich ziehe den Hut vor dir bei deiner Berufswahl. Rede dich nicht klein, sei stolz auf dich 😘

  4. So, so schön von dir zu hören.
    Ich weiß gar nicht warum aber ich hatte Gänsehaut und Tränen in den Augen. Du berührst mich und kannst wahnsinnig gut schreiben! Euer Hund ist eine ganz hübsche 😍 Ich wünsche euch eine interessante Zeit in Südkorea. Meine Tochter möchte da auch unbedingt hin. Sie mag die Menschen, die Musik und das Essen! Hoffentlich berichtest du uns, wie es euch gefallen hat 🥰

  5. Liebe Mandy,

    endlich meldest du dich wieder. Dein Leben so bildhaft lesen zu können, macht mir sehr viel Spaß und Freude.

    Wir brauchen Lob und Anerkennung und am liebsten von Anderen. Oft bekommen wir diese jedoch nicht von Anderen.

    Ich sage mir deshalb ab und zu im Spiegel: Ulrike, du bist gut so wie du bist. Und du meisterst dein Leben gut.
    Und ich klopfe mir mit der rechten Hand auf die linke Herzseite und sage dasselbe.

    Und jeden Abend spreche ich meine Affirmationen: ich liebe und akzeptiere mich und erlaube mir, glücklich zu sein.

    Und es ist schön zu hören, dass du dir von deinem Verdienst gemeinsame Familienurlaube gönnst. Egal, was „draußen“ passiert: die Familie ist die engste Lebensverbindung.

    Ich wünsche dir weitere Glücksmomente und freue mich, wieder von dir zu hören 🍀💐🍀

  6. Hi Mandy, schön von dir zu lesen…vor allem das es dir gut geht
    lass dich nicht unterkriegen…du machst das schon richtig…genieße die schönen Momente des Lebens und kein Druck zusätzlich
    Alles Liebe und bis bald mal wieder
    Tatjana

  7. Liebe Mandy,
    Wie schön von dir zu hören bzw. zu lesen.
    Dein Geld ist so gut investiert. Zeit mit der Familie zu verbringen ist ganz wunderbar.
    Ich wünsche dir, dass du beruflich die wichtige Anerkennung bekommst. Warum fällt es Vorgesetzten immer so schwer, zu loben. Es ist die günstigste Motivation.
    Ich wünsche dir eine wunderbare Zeit,
    LG Elke

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