MandysNotizBlog

Starthilfe – meine erste Zeit als Narkoseärztin

Wie sehne ich mich . . .

. . . nach den Tagen zurück, als steigende COVID-Zahlen das einzige Problem zu sein schienen.

Ende Februar passierte das, was ich im 21. Jahrhundert für unmöglich hielt: in Europa erklärte jemand einer demokratischen Nation den Krieg. Kann das sein? Ja, denn dieser Jemand scheint nie im 21. Jahrhundert angekommen zu sein. Bei seiner Geschichtsstunde schwankte ich zwischen „Hat er sie noch alle?“ und „Was zur verdammten Hölle passiert hier?“
Von einen Tag auf den anderen schien die Gefahr einer weltweiten Eskalation so greifbar, dass man es förmlich schmecken konnte.

Die Angst einer atomaren Bedrohung, eines Krieges im eigenen Land schwappte ungefragt über unsere Haustürschwelle. Kein Schutz, kein Entkommen vor dem Gedanken, dass es das jetzt war. Nur weil jemand denkt, er kann sich mit aller Macht nehmen, was er will.

Ich habe mich nie wirklich übermäßig mit Politik beschäftigt, kenne Grundlegendes wie ‚Wer ist eigentlich gerade Kanzler‘ und wann die nächsten Wahlen sind. Die Parteien kann ich auch noch auseinander halten. In der Schule fiel es mir trotzdem schwer Bundestag und Bundesrat auseinander zu halten und welche Aufgaben wer bestreitet. Aber auch als Politik-Idiot weiß ich, dass ich nicht einfach in ein anderes Land einmarschieren kann, als wäre es ein Süßigkeitenladen und nehme mir das, worauf ich am meisten Lust habe – nämlich alles. Nebenbei schubse ich andere Kunden noch aus dem Weg, bestehle obendrein den Ladeninhaber und behaupte bei der Gegenüberstellung, er hätte mir alles freiwillig gegeben. Dann kacke ich ihm auf den Tresen, lüge er sei es selbst gewesen auch wenn alles auf Kamera aufgenommen wurde und greife noch in die Kasse – wenn schon denn schon.

Und nun, 9 Wochen später, ist das Thema Krieg so in unserem Alltag angekommen, dass wir es praktisch in den Nachrichten überhören. Ich finde das erschreckend. Erschreckender empfinde ich aber meine Gefühle, wenn ich die Kriegsverbrechen sehe (niemand braucht mit mir darüber zu diskutieren, ob es welche sind oder nicht). Sie sind es. Punkt. Butscha war ein Wendepunkt oder mehr die Reaktionen darauf. Schauspieler? Eine Inszenierung durch die Ukrainer? Schauspieler? Das waren die überzeugendsten Schauspieler, die ich je gesehen habe. Es ist allgemein bekannt, dass der Tod im Fernsehen unrealistisch gezeigt wird. Diese ‚Schauspieler‘ hatten sogar typisch verfärbte Nägel, nur eines von vielen Einzelheiten, die mir auffielen – eine beeindruckende Darstellung.

Genug Sarkasmus. Genug vom Krieg.

Wie wäre es mit Nachrichten von meiner neuen Arbeit?

Die ersten Tage in meinem Job erwog ich eine Karriere beim Bundesnachrichtendienst, dem deutschen Geheimdienst. So unauffällig wie ich mich durch den OP bewegte, hätte ich durchaus gute Chancen gehabt.

Es verging keine Stunde in dieser ersten Zeit in der ich mich nicht fragte, ob der Wechsel ein Fehler war. Ich stand diesem riesigen Narkosegerät gegenüber und wusste, durch diese vielen Knöpfe gibt es unzählige Möglichkeiten jemanden umzubringen. Das trieb meinen Puls in die Höhe, wie auch meinen Blutdruck. Dann wurde mir der Medikamentenwagen gezeigt, der immer mit im OP steht – das erhöhte die Anzahl der Todesursachenmöglichkeiten um ein weiteres Vielfaches.

Eine kurze Beschreibung meines neues Berufes als Anästhesistin

Man gibt jemanden Medikamente, damit er einschläft. Dadurch hört er gleichzeitig auch auf zu atmen. Er bekommt einen Beatmungsschlauch und meine Aufgabe ist es Kreislauf, Atmung und Säure-Basen-Haushalt während der Operation zu bewerten, aufrechtzuerhalten und im Gleichgewicht zu halten. Man kann aber auch Nervenleitbahnen blockieren oder eine Rückenmarksnarkose machen – es gibt so viele Möglichkeiten jemanden auf eine Narkose vorzubereiten und es macht so viel Spaß.

Wie schon beschrieben, die ersten 2-4 Wochen waren die Hölle. Wenige Erfolgsgeschichten, dafür umso mehr Demotivationen. Jeden Abend wälzte ich Bücher und hoffte, das Gelernte am nächsten Tag anwenden zu können. Und mich nicht zu zu fühlen, als wäre es der erste Tag an einer neuen Schule.

Ich gebe es ungern zu: durch meine Arbeit in der Notaufnahme fühlte ich mich sicher und gut vorbereitet. Eine Illusion und auch Dummheit. Ich erinnere mich an einen Moment, an dem ich im OP stand, nach einer Intubation, mit der ich überhaupt nicht zufrieden war. Und wurde prompt von meinem Mentor zum Narkosegerät angefragt. Oh Gott, ich fühlte wie mir die Tränen aufstiegen. Meine Augenlider zu schließen wäre ein Fehler gewesen, unweigerlich wären meine Tränen übergelaufen und von der FFP2-Maske aufgesaugt worden. Im Kopf war ich immer noch bei der Intubation. Fragte mich, warum ich es nicht konnte, haderte mit meinem von mir selbst gewählten Schicksal und fühlte, wie die erste Träne hervorquoll. Mein Mentor fragte nicht weiter, sondern erklärte. Und ich versuchte meine Tränen zu verstecken – was für ein Tiefpunkt. Ich heulte auf dem Heimweg. Im Fahrradfahrtwind trocknen Tränen sehr gut.

Zu Hause schmiss ich mich auf die Couch, mein Liebster kredenzte Kaffee und versuchte mich aufzubauen und dann kommen die Nachrichten. Der Krieg in der Ukraine. Und meine Probleme scheinen auf einmal so viel kleiner und nichtiger.

Ich denke zu viel über sowas nach. Lade mir zu viel Last auf. Manchmal komme ich mir wieder vor, wie ein Teenager, der sich in Problemen wie Liebe, Zukunftsplänen und Gewicht verliert. Und dann merke ich, ja, ich bin 35 Jahre alt und dass wir im Grunde nur Jugendliche mit Erfahrung sind.

Um Hilfe zu bitten ist keine Schande!

Und die Neuerkenntnis, zu wissen, dass wir jeden Tag im Leben dazu lernen, ob als Mensch, Frau oder Ärztin war so unglaublich befreiend, dass es atemraubend war. Wir müssen nicht perfekt sein. Ich weiß als jemand, der im medizinischen Bereich arbeitet, sollte man so nah an der Perfektion arbeiten wie möglich. Zum Wohle des Patienten.

Daraus ergeben sich meine Probleme. Ich denke nur an meinen Patienten. Und möchte das Beste für denjenigen. Das machte mich nicht zu einer schlechten Ärztin. Und mein Oberarzt sieht es zum Glück genauso. Fragen kostet nichts . . . außer Überwindung der eigenen Scham, nicht alles zu wissen.

Wenn ich in der Prämedikation arbeite, in der Aufklärung für die Narkose (und es ist einer meiner liebsten Aufgaben) sage ich zu meinen Patienten, wenn sie sich für ihre vielen Fragen entschuldigen: ‚Es ist Ihr Körper. Sie haben jedes Recht zu fragen, was wir machen, wenn Sie schlafen. Jetzt haben Sie die Möglichkeit. Fragen Sie mich alles, was Sie möchten. Und wir schauen, dass ich Ihnen diese Fragen beantworten kann. Und wenn nicht, finden wir jemanden, der es kann.‘
Bisher habe ich keine negative Reaktion darauf bekommen. Sondern zu 100% Lächeln. Und das zeigt mir, dass ich auf einem guten Weg bin. Kein betonierter, geradliniger, einfacher. Sondern den mit den Steinen und den Windungen. Ich hab ne Schaufel und Geduld . . . das schaffe ich auch. Und hinter mir stehen liebe Menschen, ob Familie oder gerade gefundene.

Anteil zu nehmen an Menschen, einem Volk, welches sich im Krieg befinden ist normal und gut. Sich vor Nachrichten zu schützen, die teilweise grausam und ernüchtern sind, ist auch normal. Und auch das Gefühl, dass man die Nachrichten ausschalten möchte und diese nicht zu zulassen. Noch haben wir diesen Luxus. Ich schäme mich nicht dafür. Die Welt kann hässlich sein. Und ich gebe gern zu, mich für ein paar Minuten und Stunden davon zu befreien und zu distanzieren um einen klaren Kopf zu bekommen. Es ist menschlich. Und ich bin ein Mensch. Punkt.

Bleibt gesund . . . eure Mandy

2 Kommentare

  1. Wenn ich das sagen darf: Du bist einfach einmalig und unglaublich – ich bin Mama von Kindern in Deinem Alter und wäre sehr stolz auf Dich – natürlich bin ich das auch auf meine ;-). So umsichtig und mitfühlend wie Du dein Dasein beschreibst, sollte eine Ärztin sein. Das würde ich mir wünschen…. Ich könnte Dich als Mama nur nicht weinen sehen.

  2. Liebe Mandy,
    ich habe gerade mal wieder an Dich gedacht und erfreut gesehen, dass es endlich mal wieder ein Lebenszeichen von Dir gibt! Ja, die Zeiten sind beängstigend und irgendwie nicht zu fassen, da sprichst Du mir aus der Seele!
    Aber ich freue mich, dass es Dir in Deinem neuen Job offenbar langsam besser geht! Ich finde es so toll, wie Du mit Deinen Patienten sprichst! Schön, dass es Menschen/Ärzte wie Dich gibt!
    Alles Liebe weiterhin für Dich!
    Geli

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