MandysNotizBlog

Ein 24-Stunden-Dienst in meinem (Alb)Traumberuf

„Hallo meine Liebe, hab ich dich geweckt?“
Ich brauche ein paar Sekunden um zu registrieren, auf welchem Planeten ich mich befinde. Meine aus dem Hinterkopf rollenden Augen versuchen sich im dunklen Raum zu orientieren. Ach ja, ich bin im Bereitschaftszimmer. Ich habe einen 24-Stunden-Dienst. Es ist kurz nach 5 Uhr morgens. Ich liege seit ungefähr 50 Minuten im Bett.
Wie so ein 24-Stunden-Dienst aussieht? Ihr dürft Mäuschen spielen . . .
„Guten Morgen. Sollte ich schon auf dem Weg zu dir sein oder kann ich noch meine übervolle Blase wegbringen?“ Lachen auf der anderen Seite.

Seit einem halben Jahr arbeite ich jetzt als Assistenzärztin. Man möchte meinen, dass ich mittlerweile in der Arbeitsrealität angekommen bin. Ich bin sogar ziemlich hart auf dem Boden der Tatsachen aufgeschlagen. Ein Schicksal an dem ich selbst schuld bin. Über den Tellerrand hinaus zuschauen birgt die Gefahr des Abrutschens – oder auf einen wundervollen Ausblick.

Den Mund auf machen . . . nicht nur zum Essen

Nach dem langen Medizinstudium, ja, ich brauchte deutlich länger als die 6 Jahre, ging es für mich ans Arbeiten. Es ist nicht so, als wüsste ich nicht wie es geht. 13 Jahre zuvor war ich Gesundheits- und Krankenschwester. Von einem großen, staatlich finanzierten Haus wagte ich den Schritt in ein kleines privatisiertes Haus und bereue diesen Schritt jeden Morgen, wenn ich aufstehe.

Ich scheine aus der Rolle der Nörgelnden und sich Beschwerenden nicht hinaus zu kommen. „Früher war das noch viel schwerer, bei viel weniger Gehalt.“ Ich habe es so oft gehört, dass ich es nicht mehr hören kann. Was heißt das für mich? Klappe zu und einfach Machen? Nur weil es früher für viele Assistenzärzte noch schwerer war, heißt es doch nicht, dass ich aktuelle Umstände gut heißen oder so akzeptieren muss.

Ich mach den Mund auf, wenn ich Ungerechtigkeit sehe. Wenn jemand in der Notaufnahme rumpöbelt, sehe ich auch nicht ohnmächtig zu. „Entschuldigung, aber küssen Sie ihre Mutter mit diesem Mund? Setzen Sie sich auf ihren Hintern.“
Gehe ich damit ein Risiko ein? Natürlich. Aber wer den Mund nicht aufmacht wird nicht gehört.
(Wer hat schon gern ein Messer zwischen den Rippen? Wenn es zu bedrohlich ist, rufe ich auch die Polizei.)

Wir sind hier nicht bei ‚Wünsch dir was‘

Nach nur sechs Monaten bin ich meiner Illusionen beraubt. Ich hatte es am wenigsten geglaubt. Gelandet bin ich in einem Krankenhaus, in dem medizinisches Personal nichts wert ist und Mühe und Engagement nicht auf Anerkennung trifft sondern als Gott-gegeben voraus gesetzt werden. Eine ehrliches Danke vom Vorgesetzten oder Geschäftsführung wäre der Tropfen Öl, der das Getriebe am Laufen hält. Statt dessen wird eifrig Sand hinein geschaufelt.

Willst du einen Arbeitgeber richtig einschätzen, sieh dir an, wie er seine Angestellten behandelt. Ein ‚entweder Sie laufen mit oder Sie können kündigen‘ ist definitiv nicht die richtige Art der Kommunikation in einer Zeit, in der es an Personal, Arbeitsmaterial und Tests fehlt. Statt Klatschen und Quatschen, dass man nun doch noch einmal durchhalten müsste, sollten Rote Teppiche ausgerollt werden – vor allem für die Pflege.
Für was mache ich es also? Vielleicht lacht ihr jetzt. Aber ich mache es für meine Patienten. Sie sind die Vielfalt in meinem drögen Alltag und das Salz in meiner Suppe. Ohne sie hätte ich definitiv weniger zu erzählen.

Wein gibt keine Antworten . . . aber man vergisst beim Trinken die Fragen

2012 wurde eine Studie mit 1300 Ärzten mit einem Durchschnittsalter von 48 Jahren und einem geschlechtergleichen Verteilung mit circa 47 Stunden Arbeitszeit pro Wochen zu den genutzten Stressbewältigungsstrategien befragt. Im Vergleich zur Normalpopulation zeigte sich ein deutlich erhöhter Substanzmissbrauch. Beruflicher Stress wurde mit Alkohol oder Medikamenten begegnet, um zumindendest im Feierabend Ruhe zu finden. Ursachen? Hektische Arbeitstage, hohe emotionale Belastung im Patientenumgang und bei schweren Entscheidungen.

Was oftmals nur noch bleibt ist der kollegiale Zusammenhalt. Wenn ich aber etwas gelernt habe, dann das ein Team schneller zerbröselt als ein Keks und von denen hatte ich in letzter Zeit frustrierend viele.
Wovon ich noch zu viel hatte war Alkohol. So tröstend. So entspannend und lösend, wenn der Tag mal wieder Scheiße lief. Im alten Jahr, als ich den schwindenden Gesundheitszustand und Tod meiner Oma verkraften musste, war es fast jeden Tag. Ich bemerkte den Blick meines Mannes. Das Gefühl des Lockerwerdens hab ich ohne ein Glas Wein nicht hin bekommen. Früher durchs Joggen, heute durch Wein.

Aber Arbeiten wir wirklich härter, länger, mehr?
Ich will uns nicht als überaus gut bezahlte Weicheier darstellen. Aber eine Entschuldigung für den regelmäßigen Feierabendwein brauche ich.

48-Stunden Arbeitswochen sind nicht nur Luxus sondern auch eine Seltenheit

Früher mussten Assistenzärzte wirklich bluten, denn es gab kaum ein Arbeitsschutzgesetzt für uns. Laut europäischem Arbeitsschutzgesetz ist es jetzt endlich so, dass die Arbeitszeit die 48-Stunden-Grenze nicht überschreiten darf. Einschließlich Überstunden. Und auch der Bereitschaftsdienst ist der Arbeitszeit zuzurechnen.
Hört ihr das? Das ist das ironische Lachen meines Arbeitgebers. Ob es aus der Chefetage oder von den Malediven kommt – man weiß es nicht.

Es gibt viele Assistenzarztstellen, die unbesetzt sind. Es sind so viele, dass wir uns vor Anfragen kaum retten könnten müssten. (War das grammatikalisch richtig?) So ist es nicht. Keine Einarbeitung, Gehalt okay aber keine Zeit zum Ausgeben, Überstunden und Dienste open end, denn es fehlt ja an allen Ecken und Enden. Wobei die Überstunden nicht schriftlich fest gehalten werden dürfen, obwohl es laut Gesetz erlaubt ist.

Der Dienst beginnt morgens um 10 Uhr. Wooohooooo, ausschlafen. Von wegen. Der Tag beginnt wie immer:
Früh aufstehen, etwas mehr Zeit für die Nachrichten: Urg, die Zahlen gehen weiter hoch; in aller Ruhe packen. Packen? Ja, ich nehm Zahnbürste und Co. immer mit – komisches Gefühl nicht mal abends die Zähne zu putzen oder sich abzuschminken.

Die Notaufnahme

Und dann geht es auch schon los zur Arbeit: in die Notaufnahme. Ich liebe es. Kein Ironie, kein Sarkasmus. Zum Verständnis: ein Krankenhaus braucht eine Besetzung, 24 Stunden am Tag. In der Notaufnahme muss immer ein Arzt aus der Inneren Medizin und der Chirurgie vertreten sein. Nachvollziehbar.

Bauchschmerzen? Innere Medizin. Bluthochdruck? Innere Medizin. Gestürzt? Chirurgie. Atemnot? Innere Medizin. Schmerzen unbekannter Ursache? Erstmal Innere Medizin. Brustschmerzen? Innere Medizin. Pillepalle, Mimimi seit 3 Wochen und wochenlang keine Medikamente eingenommen? Hausarzt. Abends, nachts, Wochenende wird’s dann eben meist die Notaufnahme.

Für was hab ich mich entschieden? Innere Medizin. Sind die Assistenzarztstellen schlecht besetzt, und so ist es momentan, macht man zwei 24-Stunden-Dienste in der Woche. Insgesamt 48 Stunden. Mein Arbeitspensum für die Woche wäre erreicht.

Über den Tag macht man normal die Aufnahmen über die Notaufnahme. Fehlt es an Leuten, kommt auch noch eine Station dazu. Ab 16:30 Uhr sind alle weg und man ist allein für Notaufnahme und Stationen verantwortlich. Dazu gehören Geriatrie, Covid-Station, Gastroenterologie, Lungen-Station und alle anderen medizinischen Bereiche der Inneren Medizin.

Zu den ‚Notfällen‘, die in die Notaufnahme kommen, gehört auch sowas:
Ein junges Mädchen in der Notaufnahme. Circa 23 Uhr.
„Ich konnte auf einem Auge für kurze Zeit nichts mehr sehen. Es flimmerte so. Hab Kopfschmerzen. Und ich bin vielleicht schwanger.“ Sie lachte unsicher.
Ich schaute die Nachtschwester an. Sie nahm sie auf und ich ging mit ihr in ein Untersuchungszimmer. An den Monitor, körperliche und neurologische Untersuchung. Sie hatte Migräne und vorbefundlich Augenmigräne, was das Augenflimmern erklärte. Die Vitalzeichen alle normal. Sie wollte einen Schwangerschaftstest.
„Glaubst du oder weißt du, ob du schwanger bist?“
Ich hatte ihr das ‚Du‘ angeboten, weil sie auf das ‚Sie‘ verwirrte reagierte. „Wir haben kein Kondom benutzt.“ Gut, kommt vor. „Wir benutzen eigentlich nie eines. Er will nicht.“
Ich klärte sie darüber auf, dass sie sich mit Kondomen auch vor Aids und anderen Geschlechtskrankheiten schützt, nicht nur vor einer ungewollten Schwangerschaft.
„Ich hab da was bei Wikipedia gelesen.“ Daher wehte der Wind.
Tendenziell habe ich nichts dagegen. Nachlesen ist immer super. Ich wünsche mir aber oft, dass die Texte auch zu Ende gelesen werden.
Sie glaubte, dass sie eine Erkrankung hat, die nur in selten Fällen und nie in der Frühschwangerschaft auftritt und nun Ursache für alles ist. Und sie wollte immer noch einen Schwangerschaftstest.
Ich beruhigte sie, klärte sie auf. Keine Schmerzen, Blutdruck super, sie sah alles wieder gut, die Kopfschmerzen und das kurzzeitige Flimmern durch die Migräne kommen. Ich erklärte ihr auch den Wikipediaeintrag. Eine Schwangerschaft kann ich nicht ausschließen. Sie ist aber kein Notfall. Das diverse Drogerien Frühtests anbieten oder ihr Gynäkologe sicher gern weiter hilft.
Sie war beruhigt.

Turfen

Diese Patientin wurde nicht stationär aufgenommen. Aber Gespräch, Untersuchung mit Arztbriefschreiben dauerten 45 Minuten. Ich hätte sie auch die gynäkologischen Kollegen abgeben können. ‚Turfen‘ nennt man das. Ein unschönes Wort dafür, wenn man keinen Bock und keine Zuständigkeit empfindet und jemanden los werden möchte.
Zwischenzeitlich bekomme ich 3 Anrufe von Station, muss deren Wichtigkeit einstufen und die Ankündigung von zwei Rettungswagen. Jemand mit Atemnot, bekannte Lungenerkrankung, Raucher, Covid kann nicht ausgeschlossen werden. Und ein junger Mann mit Magenschmerzen seit einer Woche. Ich ärgere mich. Der junge Mann hätte zum Hausarzt gekonnt. Statt dessen hat er Ibuprofen eingeschmissen, die bei Magenschmerzen kaum helfen sondern das ganze noch verschlimmern können. Nun hat er einen Rettungswagen gerufen, dessen Einsatz den Steuerzahler viel Geld kostet.

Da die Rettungswagen noch nicht da sind, schlüpfe ich schnell auf die Geriatrie. Eine Patientin sehr hohen Alters hat viel Wasser in Armen und Beinen eingelagert, Schmerzen beim Liegen, Unruhezustände. Ich lagere sie mit der Pflegerin, die allein auf Station ist, was erst einmal Linderung bringt. Nach Durchsicht der Akte, ein komplexer Fall, ordne ich ein leichtes Beruhigungsmittel an, welches im Laufe der Nacht verabreicht werden kann. Dann der Anruf aus der Notaufnahme, dass beide Rettungswagen da sind. Ich spurte los.

Die Opt-out-Regelung

Würde sich der ärztliche Dienst an seine vertragsgebundenen Arbeitszeiten halten, wären die Patienten oft ohne ärztliche Versorgung. Ein Einweisung ins Krankenhaus würde einer Los-Nummer gleich kommen.

Da wir Ärzte aber gerne leiden, haben wir uns zu einer besonderen Regelung hinreißen lassen, die kaum noch aus einem Vertrag weg zu denken ist: die Opt-out-Regelung. Sie bedeutet ‚Aussteigen‚ – und zwar steigt der Arbeitnehmer aus dem Arbeitsrecht aus und verpflichtet sich gegen geltendes europäisches Gesetz zu mehr als 48 Stunden Arbeitszeit.
Sie können nicht unendlich gestreckt werden, aber zumindest auf 60 Stunden die Woche. Mit ein paar Tricks geht es sogar noch länger. Die Dienstmodelle in den Krankenhäusern funktionieren oftmals nur so. Die Mehrarbeit wird in Kauf genommen. Denn ‚früher war es ja noch schlimmer‘.
Auf diese Weise kann ein Assistenzarzt am Montag einen 24-Stunden-Dienst bewältigen, Dienstag dann ‚dienstfrei‘ machen und am Mittwoch, Donnerstag wieder regulär arbeiten. Freitag dann wieder einen 24-Stunden-Dienst. Aber er hat ja noch das Wochenende zum Entspannen.

2x 24h+ 2x 7,5h = 63h. Und das ist noch eine gute Woche. Schlimm wird es, wenn sich der Dienst aufs Wochenende verschiebt. 2 Mal 24-Stunden-Dienst und 3 Normale.

Warum ich wieder zurück in die Pflege wollte

Ende Oktober, Anfang November setzte ich mich mehrere Wochen damit auseinander, wieder als Krankenschwester zu arbeiten. Nebenbei bewarb ich mich in anderen Häusern als Assistenzärztin, aber auf meine Bewerbungen kamen kaum Rückmeldungen, und die die kamen, waren verhalten. Es gäbe momentan keine Stellen. Aber Pflege wurde gebraucht. Ich spielte mit dem Gedanken, wenn ich schon meine Intensivweiterbildung nicht als Ärztin machen könnte, würde ich als Intensivpflegerin anfangen. Und die wurden händeringend gesucht.

Was mir fehlt ist auch, dass nach meinem Arbeitstag wirklich selten Ende ist. Zu Hause folgen meist noch Aufarbeitung des Tages und der Fälle, sowie Nachlesen in der Fachliteratur.

Meine Verzweiflung wurde größer. Denn ich konnte mich immer weniger mit dem Krankenhaus identifizieren. Die Emotionen die tagtäglich hoch kochen, pflegerisch und ärztlich, nahmen mich sehr mit. Und es kam kein Mucks aus der Geschäftsführung. Als würden sie die Füße still halten, um nicht noch mehr loszutreten.
Ein Gespräch mit meinem Chef regte mein Umdenken an, mich vielleicht in einem anderen Fachgebiet umzusehen. Mir fehlte eh das Handwerkliche, das manuelles Geschick in der Inneren Medizin. Die Bürokratie im Krankenhaus macht mich fertig. Stunden und Stunden verloren für die Absicherung, dass den beiden Füße, die eh schon im Gefängnis stehen, nicht noch der Rest des Körper nachfolgt.
Der Weg zurück in die Pflege erschien mir so verlockend. Zurück in das Gewohnte, in die Kuschelecke. Die Kollegen bauten mich auf. In dem Monat kündigten 2 von ihnen und niemand rückte nach.

Pünktlich Schluss

Drei mal dürft ihr raten, warum ich selten pünktlich Schluss machen kann. Genau, wegen euch. Ihr haltet euch nämlich überhaupt nicht an meine Arbeitszeiten. Warum fangen Bauchschmerzen pünktlich zum Feierabend an? Warum wird der Gang zum Hausarzt immer seltener?

Oft wird sich eine schnelle Versorgung in der Notaufnahme erhofft. Ich sage aber auch immer, dass wir kein Ersatz für ein Hausarzt sind. Es ist eine NOTaufnahme und ist nicht für die Versorgung von quersitzenden Püpschen gedacht.
Es gibt noch die 116 117 – den ärztlichen Bereitschaftsdienst, der nach dem Hausarzt Ansprechpartner für Nichtnotfälle da ist. Und auf den verweise ich auch, weil ihn selten jemand kennt.

16:30 Uhr, die Kollegen gehen nach Hause. Nun ist man der Dienstarzt im Bereitschaftsdienst.
Dazu gehört auch der Bereitschaftsdienst des Oberarztes, der zu Hause nichts machen muss, bis der vor Ort schuftende Assistenzarzt eine telefonische oder persönliche Unterstützung anfordert.

In der Notaufnahme beginnt es zu florieren. Am Abend kommen oft die Patienten, gern auch zu Fuß, die tagsüber noch gearbeitet haben und nun nicht mehr können. Hausarzt zu, der ärztliche Bereitschaftsdienst auch hier unbekannt. Nächste Anlaufstelle: Notaufnahme.

Später am Abend kommen die ersten die zu viel Getankt haben. Manchmal auch noch zu Fuß, wenn auch schwankend, oder schon mit dem Rettungswagen. Haben wir Platz auf der Covid-Station kommen auch hier Patienten. Sie sind oft etwas aufwendiger, allein schon weil man sich eine Sauna-to-go überstülpen muss. Dann hoffe ich immer nur, dass eine Pflegekraft Zeit hat mir etwas anzureichen, damit ich mich nicht ständig an- und ausziehen muss. Oft sind die Patienten dann schon so schlecht mit dem Sauerstoff, dass sie auf Intensiv müssen. Große ängstliche Augen hinter Sauerstoffmasken, die beschlagen. Ja, die meisten sind ungeimpft. Mittlerweile ist es mir aber egal geworden. Nun sind sie hier und für Belehrung ist es zu spät.

Dazwischen immer wieder Anrufe von Station, die man dann nicht annehmen kann, da der Ganzkörper-Suite es nicht zulässt. Rückrufe, die getätigt werden müssen. Absprache mit dem Oberarzt im Hintergrund, ob man auch alles richtig gemacht und nichts vergessen hat.

Schlaf im Bereitschaftsdienst

2 Uhr. Es ist endlich ruhig in der Notaufnahme. Das Telefon steht still. Jetzt noch ein paar Labore und Röntgenbilder kontrollieren. Wieder der Blick auf die Uhr, ob sich das Hinlegen überhaupt lohnt.

24-Stunden-Dienste gibt es in fast allen Kliniken. §3 des Arbeitsschutzes besagt, dass die tägliche Arbeitszeit 8 Stunden beträgt. Eine Ausweitung auf 10 Stunden kann erfolgen, wenn im Durchschnitt die acht Stunden erhalten bleiben. Wird Bereitschaftsdienst angeordnet, kann die Arbeitszeit nochmals ausgeweitet werden. Natürlich mit Einhaltung der Erholungsphasen davor und danach. *Riesenlacher*

Jeder Bereitschaftsarzt hat ein schmuckes Zimmer mit einem Bett, dass genauso alt ist wie das Haus selbst. Mit etwas Glück ist die Matratze neuer. Aber sie erfüllt immer einen Standard – hauchdünn.
Es gibt einen Fernseher, mit keinem oder eingeschränkten Empfang. Unserer ist ein kleiner Röhrenfernseher ohne Anschlusskabel. Darauf ein VHS-Recorder, auf dem schon Ramses Videos schaute. Ebenfalls nicht angeschlossen. Es gibt ein Badezimmer, dessen Dusche man nicht mal mit Gummistiefeln betreten will.
Formal darf sich der Dienstarzt nach Beendung seiner regulären Arbeitszeit (16:30 Uhr) und vor Beginn des Bereitschaftsdienstes einen mehrstündigen Schönheitsschlaf genießen. Am nächsten Morgen steht man gut gelaunt auf, hat richtig Kohle kassiert und genießt den freien Tag, während alle anderen sich zur Arbeit schleppen . . . noch nie so erlebt.

Jammere ich auf hohem Niveau? Eher nicht. Mal 24 Stunden nur mit kleinen Pausen gearbeitet? Mit dem Arbeitsmaterial ‚Mensch‘? Patienten sind keine Maschine. Passiert ein Fehler, könnte der Motor unwiederbringlich aus sein. Eine lange Arbeitszeit ohne Ruhe und ausreichend Pausen machen Fehler sehr wahrscheinlich. Aber hey, es funktioniert seit vielen Jahren. Also machen wir doch so weiter. Denn ‚früher war ja alles noch viel schlimmer‘.

Und kommt man doch zum Schlafen ist da immer noch das Telefon. Tiefschlafphasen mit stündlichen Anrufen sind unmöglich.

Die Dementoren

Da ich ein großer Harry Potter Fan bin, ziehe ich gerne den Vergleich zu Dementoren. Abstoßende Wesen, die ihren Gegenübern alle mentalen Empfindungen entziehen. An manchen Tagen fühle ich mich genau so. Vor allem nach den Diensten. Mit einer tief traurigen Stimmung und Leere fahre ich dann nach Hause, sehe durch den Schlafmangel bunte Farben, die nicht da sind und überlege direkt, nochmal Hinlegen Ja oder Nein und den Schlafrhythmus direkt dem Harakiri auszusetzen.

Lauert überall

Der Griff zum Wein ist dann ein leichter. Ich hab mich mittlerweile berappelt. Alkohol gibt es noch zu Feierlichkeiten oder nur einmal die Woche, wenn überhaupt. Meine neue ‚Droge‘ ist Tee. Ich mache Musik in der Küche an, hole mir eine schöne Teetasse raus, wärme das Wasser auf, gebe den losen Tee ins Sieb und atme tief durch. Wieder einen Dienst geschafft. Niemand ist durch meine Hand gestorben – dem ein oder anderen konnte ich sogar helfen.

Und dann kommt es, wie es immer kommt. Mit dem Tee auf die Couch, der Hund kuschelt sich an und schon bin ich im Schlummerlummerland.

Die Pflege – Herz aus Gold

Seit so vielen Jahren haben wir einen beständigen Pflegenotstand. Ich kann es kaum mit ansehen, wie sie kleechen, ackern und trotzdem immer ein paar liebe Worte haben.

Die damaligen Gründe der Unzufriedenheit sind die gleichen wie heute. Mangelnde Wertschätzung, Dauerstress, Frust und zu wenig Geld für viel zu viel Arbeit. Und die Überstunden. Es wäre doch schön, wenn Freizeit Freizeit ist. Urlaub Urlaub. Und man nicht befürchten muss, dass der Chef anruft und sagt, dass man einen Schichtdienst ersetzen soll.
Für lumpiges Geld dürfen Pflegekräfte täglich Scheiße wischen, sich den Rücken an immer dickeren Menschen verheben und sich für das schlechte Essensangebot anpöbeln lassen. Und nebenbei bewahren sie noch Pflegeschüler, Studenten und Assistenzärzte davor zu viel Unsinn anzurichten. Dafür bekommen sie kostenlos Burn-Out, Depression und psychosomatische Erkrankungen.

Wer will denn noch freiwillig diesen Job machen? Alte gehen, Jüngere kommen nicht nach. Ein Problem. Denn wir werden immer älter – und pflegeanfälliger, schließlich sorgt die Medizin ja dafür.

Das Warten auf Wertschätzung

Es gibt zu wenige von uns. Die Arbeitsbedingungen sind oft mies. Das Gehalt diskussionswürdig. Ohne uns kommt niemand klar. Wer einmal krank war, ob Krebs ob Männergrippe, weiß das Gesundheit das Einzige ist, was wirklich zählt.

Zwei Jahre Pandemie und Arbeiten am Limit sind nicht einfach aus den Köpfen raus. Im Moment gibt es so viele Menschen in der medizinischen Versorgung, die an ihrem Beruf zweifeln. Es muss etwas geschehen. Und das am besten bevor es zu spät ist. Wertschätzung ist nicht Klatschen auf Balkonen. Wertschätzung sind humane Arbeitsbedingungen.

Ich begann mein Studium aus Leidenschaft und weil ich davon träumte, anderen noch mehr helfen zu können – meine Güte, ich weiß wie abgedroschen das klingt.
Zweifler verändern nicht die Welt. Das tun Träumer. Wenn man sie vorher nicht desillusioniert.

Bleibt gesund, eure Mandy

5 Kommentare

  1. Liebe Mandy,
    ich habe keine Lösung parat. Weder für Patienten, noch für dich und deine KollegInnen.
    Ein befreundeter Arzt ist ins Gefängnis gegangen als Arzt und hat es nie bereut. Er war so gechillt, dass er oft freiwillig Notdienst am Wochenende machte. Und damit sehr gut verdiente.
    Ein anderer Freund hat in den Reha-Betrieb gewechselt.
    Ich selbst bin sehr dankbar für alle helfenden Hände und tue mein persönlich Mögliches, um mich bei allen Engeln zu bedanken.
    Deshalb wünsche ich dir eine Lösung, die dich glücklich und zufrieden macht.
    Und mehr Wissen bei den Patienten um den Bereitschaftsdienst, der täglich nach Schließung der Arztpraxen zur Verfügung steht.
    🍀♥️👏

  2. Liebe Mandy,
    das liest sich ganz schlimm, ich habe leider keine Lösung für dein Problem.
    Was mich aber sehr ärgert, gerade wenn ich lese, dass es zu wenig Ärzte gibt: ist der NC!
    Ich kenne mehrere sehr fähige junge Leute, die seeehr gerne Medizin studiert hätten, aber aufgrund des fehlenden NC keinen Studienplatz bekommen haben. Warum? Natürlich ist dieses Studium anspruchsvoll, aber die Abinote sagt nichts über die Eignung zu einem Beruf aus. Warum bekommen nicht mehr junge Leute die Chance zu einem Medizinstudium? Wer es wirklich nicht packt, siebt sich nach 1-3 Semester von selbst aus.
    Ach, egal, daran kannst du auch nichts ändern und es hilft dir nicht weiter.
    Jedenfalls muss sich ganz flott im medizinischen Bereich einiges ändern.
    Halte durch, meine Liebe.

    1. Liebe Birgit,
      ich bin ganz bei dir. Der NC ist eine Aussage für Nichts. Leidenschaft steckt in so vielen, die auch ich kennengelernt habe. Und von denen ich noch hoffe, dass ich sie irgendwann als Kollegen bezeichnen darf. Hoffe, dass sich auch in diese Richtung etwas ändern wird. Vielen Dank für deine lieben Worte.
      Mandy

  3. Liebe Mandy, es tut mir so leid, dass dein großer Traum dermaßen geplatzt ist. Ich habe noch nie verstanden, warum in den Krankenhäusern und anderen pflegerischen Einrichtungen derart zerstörende Arbeitszeiten herrschen. In der Industrie klappt es doch auch mit drei Schichten. Also, jeder arbeitet eine. Ich habe von Krankenschwestern schon die Aussage gehört: die Ärzte wollen das so. Klingt für mich total gaga.
    Ich hoffe, du kannst dir deinen Traum doch noch bewahren, du hast schon so viel dafür eingesetzt. Ich sende dir ganz herzliche Grüße, Ursula

  4. Liebe Mandy,
    Es tut mir sehr leid, dass dein Traum zum Albtaum wurde und die harte Arbeit nicht wertgeschätzt wird.
    Auf deine Frage, warum man nicht zum Hausarzt geht:
    1) Weil man keinen Hausarzt findet, der einen aufnimmt.
    2)weil man dem, der einen aufgenommen hat, nicht traut (Letzteres hat mir schon- in Zusammenhang mit einer fähigen Assistenzärztin in der Notaufnahme – das Leben gerettet! Mein „Hausarzt“ hielt es für einen Magen-Darm Infekt , es war leider eine Perimyokarditis mit dickem Erguss im Herzbeutel…)
    Alles, alles Gute!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert