MandysNotizBlog

Stadt vs. Land


Guten Morgen, ihr Lieben.
Immer wieder stelle ich mit Verwunderung fest, wie schnell die Zeit rennt. Nicht nur über den Tag rinnt sie mir durch die Finger. Obwohl ich nie vor hatte, lang in einer Stadt zu wohnen, lebe ich mittlerweile in Frankfurt fast genauso lang wie auf dem Land.

Einige, die mir schon länger folgen wissen, dass ich auf dem Land aufgewachsen bin.
Ich komme meist in den Harz um meine Eltern zu besuchen und um Urlaub zu machen. Der Gegensatz zur Stadt, der mich damals aus dem Dorf trieb, wurde mir in den letzten Jahren immer mehr bewusst und ist nun der Grund, warum ich wieder gern nach Hause komme.
Gerade jetzt, zu Corona-Zeiten, in der die Fallzahlen sich in der Stadt überschlagen, weil die Einwohnerdichte enorm hoch ist, wird mein unbändiger Wunsch aus der Stadt zu ziehen immer größer.

Mein Dorf, hauptsächlich Ü70. Einwohnerzahl: überschaubar. Früher gab es einige kleine Geschäfte, die ein Überleben ohne großen Discounter und Supermarktketten möglich machten. Ein Kiosk, Bäcker, ein Tante Emma Laden in dem man praktisch alles bekommen hat. Hotels, das eine mehr oder weniger groß, und Menschen, die man über den Gartenzaun grüßte und die sich alle kannten. Das hatte Vor- und Nachteile. Hatten wir was angestellt, wusste meine Mutter dies bereits bevor wir zu Hause waren. Die Buschtrommeln waren immer schneller als unsere kleinen Füße.

Im Harz und das habe ich erst jetzt gemerkt, ticken die Uhren 🕰️ etwas langsamer. Vielleicht auch etwas anders. Jedenfalls gemütlicher. Die Leute hetzen weniger. Während es in der Stadt heißt: Die Straßenbahn ist weg. Scheiße, kommt erst in 6 Minuten wieder eine. Heißt es aufm Dorf: Ich muss zum Bus. Juchhuu, heute kommt noch einer!
In Frankfurt hört mein Unterbewusstsein ab 5 Uhr die ersten Flugzeuge fliegen. Ich wache mit dem Geruch des Rauchs der ersten Zigarette des Nachbarn auf – sein Balkon ist unter unserem Schlafzimmer. Und man kann den Wecker nach ihm stellen.
Übernachte ich heute bei meinem Eltern, liege ich die erste Nacht meistens wach und lausche der Stille, höre meinen Herzschlag und stelle erschrocken fest, wie schnell man sich an Lärm gewöhnt.
Mein Mann scheint auch entspannter. Während er in Frankfurt wie ein asiatischer Wasserbüffel schnarcht und sich wälzt und morgens wie gerädert aufsteht, erwacht er hier wie Dornröschen ohne nachts auch nur einen Mucks von sich zu geben.

Die Luft riecht nach herrlichem Nichts. In Frankfurt, naja, man kann es sich denken, riecht jede Ecke anders. Es ist einfach zuviel wenn man mit bekommt, dass derjenige, der sich am Hauptbahnhof erleichtert Nierenprobleme hat.
Im Sommer kühlt es sich im Harz angenehm ab, während sich die Hitze in den Häuserschluchten der Großstadt sammelt und steht.

Nachts sehe ich im Harz die Sterne, sogar die Milchstraße. Als Kinder haben wir oft im eigenen großen Garten gezeltet (uns nachts vor der Nachbarskatze fast in die Hose gemacht) und uns die Sterne angeschaut.
In Frankfurt lässt die Lichtverschmutzung das nicht zu. Ist man weit genug vom Licht entfernt um die Sterne zu sehen, muss man sich Sorgen machen überfallen zu werden (und andere schlimme Dinge).

Nach und nach haben die Geschäfte in unserem Dorf zu gemacht. Aus Angst vor Konkurrenz, wurde alles was an Investoren von außen kam, von der Stadtverwaltung abgewürgt. Die Touristen blieben aus, der Dorfarzt (Sterbefix 🙈 war sein Spitzname) ging in Rente ohne einen Nachfolger zu finden, die Gegend ist zu weit ab vom Schuss, die Jugend zog großteils weg, das Dorf ist abgehängt.
Mit gut bezahlter Arbeit sah es schon vor 15 Jahren eher schlecht aus. Ohne Auto war man absolut aufgeschmissen.
Ich bin nach der Schule, die bei uns auch schon in einem anderen Ort war und für die wir mit dem Bus annähernd eine Stunde über andere Dörfer tingeln mussten, direkt nach Frankfurt gegangen.
Dort ergaben sich für mich vollkommen neue Möglichkeiten. Ich wusste gar nicht, wo ich mein hart verdientes Geld zuerst ausgeben sollte. Die Anonymität der Stadt empfand ich damals als angenehm. Heute fehlt mir der Zusammenhalt der Dorfgemeinschaft.

Unser Dorf im Harz hat den Absprung leider nicht geschafft. Zu meiner Freude haben es andere klüger angestellt. Stolberg zum Beispiel. Da gibt es eine Keksmanufaktur (Friwi), der der Keks- und Honiglieferant meines Vertrauens geworden ist. Himmel, für diese Kekse würde ich sterben (unbezahlte Werbung 😉). Ein Metzger für Wild, der das genialste Gulasch der Umgebung macht. Wernigerode mit seinen süßen Fachwerkhäusern, dem Schloss und seinem Baumkuchenhaus. Thale mit dem Hexentanzplatz und der Rosstrappe.
Und dann die schönen Wanderrouten im gesamten Harz. Ein Wandertour auf den Brocken kann ich nur empfehlen – ich war unzählige Male oben. Ob im Winter oder Sommer, ob bei Tag oder Vollmond. Nach dem Aufstieg kommt einem die Erbsensuppe wie ein Gourmetessen vor. (Ich empfehle den Aufstieg nicht zu Ferienzeiten – da ist der Brocken sehr überlaufen) Er ist auch ein gutes Beispiel für den Borkenkäferbefall im Harz. Ich hoffe, die Wälder werden sich irgendwann wieder davon erholen.

Im Moment beherbergen uns meine Eltern, nachdem wir unseren Jahresurlaub storniert haben. Da wir symptomfrei waren und uns, besonders mich, die Enge der Stadt erdrückte, packten wir unseren Koffer und flüchteten aus Frankfurt.
Die Fallzahlen steigen weiter. Das Klopapier-Hamsterverhalten ist für mich ein Indiz, dass die Deutschen das Virus endlich wieder ernst nehmen.
Unser Urlaub an der Ostsee schien noch vor wenigen Tagen verloren. Dann wurde das Beherbergungsverbot gekippt. Wir überlegten, ob wir fahren. Schließlich sind wir symptomfrei geblieben.
Dann las ich einen Kommentar im Internet, dass es egoistisch von den Menschen sei, jetzt in solchen Zeiten Urlaub zu machen.
Wirklich? Wenn ich in meinem Arbeitsleben meine Gesundheit für andere riskiere, über meine eigenen Reserven hinaus arbeite, es kaum honoriert wird, ist es dann egoistisch (wenn ich gesund bin) Urlaub zu machen?
Ich fühle mich von dieser Aussage leider angesprochen. Mein Schuldbewusstsein meldet sich.
Mein Gewissen aber auch. Ich habe mich in letzter Zeit über das normale Maß hinaus überarbeitet und habe neue Grenzen an mir kennengelernt. Mein Körper hat mir gezeigt, was Tacheles ist. Also haben wir ein paar Tage Ostsee gebucht und düsen bald mit genug Masken und Desinfektion im Gepäck hoch.
Die Vorfreude kitzelt mich im Magen und ich spüre bereits jetzt den Stress wie hart gewordenen Schlamm von mir abbröckeln.

Das Leben auf dem Land bietet viel, ebenso wie das Leben in der Stadt. Ich habe noch nicht die richtige Balance zwischen beidem gefunden. Im Moment aber auch egal. Ich fiebere der Ostsee entgegen und hoffe, dass uns die Menschen trotz unseres Frankfurter-Kennzeichens nett aufnehmen.
Ich werde auf jeden Fall Menschenmassen meiden und meine Runden zusammen mit Mann und Hund am Strand drehen. Sollte mir dabei zufällig ein Fischbrötchen in den Mund springen, werde ich mich nicht dagegen wehren und meinen Mundschutz kurz für die neu gewonnene Freiheit abnehmen.

Bleibt gesund, eure Mandy

5 Kommentare

  1. Wir haben lange gezögert wegen unseres Urlaubes. Wir sind dann nach Schierke gefahren. Die vier Tage sind unser umgebuchter Sommerurlaub. Wir haben uns, wie auch zu Hause, an die Regeln gehalten. Diejenigen die sagen, dass es nicht richtig ist, in Urlaub zu fahren (aufgrund corona jetzt), sind diejenigen die im Frühjahr nach den ersten Lockerungen selbst als erste gefahren sind bzw. im Sommer. Es ist übrigens sehr schön hier. Erschrocken war ich über die vielen toten Bäume.

  2. Zur Balance zwischen Großstadt und Dorf kann ich dir eine Kleinstadt empfehlen 😉 Ich würde im zarten Alter von 10 aus einer idyllischen Kleinstadt nach Berlin-Neukölln verpflanzt. Das war 1968 nicht gerade das tollste Viertel. Für meine Entwicklung war das sicher gut, die kulturellen Angebote waren umwerfend, damals für Schüler noch sehr günstig und wurden von uns weidlich genutzt. Dennoch wurde und werde ich nie ein Großstadtmensch. Ich habe jetzt das Glück in einer Kleinstadt (ach ne, wir sind gar keine Stadt, ca. 20000 Einwohnern) in der Nähe einer Großstadt, nämlich München zu leben. Diese Kombination ist zwar teuer aber m.E. unschlagbar 😉
    Was den Urlaub angeht kannst du ein ruhiges Gewissen haben! Wenn jemand die Auszeit sowohl bitter nötig als auch mehr als verdient hat, dann du (,und dein Mann, der deine Überforderung ja mittragen muss)! Und dazu gehört einfach auch mal ein Tapetenwechsel und der Aufenthalt an einem Kraftort, den du ohne schlechtes Gewissen genießen solltest. Eine absolute Sicherheit gibt es nirgends und wenn man sich, wie du, verantwortungsvoll verhält trägt das an jedem Ort dazu bei, dass wir gesund bleiben und in deinem Fall noch dazu, dass du nach deinem Urlaub wieder Anderen helfen kannst. Aber dafür musst du dich jetzt bestmöglich erholen und genau das wünsche ich dir und deinem Liebsten. Genießt euren Urlaub!

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