MandysNotizBlog

Das Medizinstudium – Bootcamp für Langzeitstudenten

Hallo ihr Lieben. Heute erzähle ich euch ein wenig vom Studiengang Humanmedizin. Jeder der die Kraft und die Leidenschaft für den Beruf Arzt/Ärztin hat, sollte es probieren. Ich empfinde diesen Studiengang als ein reines Lern- und Fleißfach. Jeder kann es mit genug Sitzfleisch, Ausdauer und dem Willen zu Pauken schaffen.

Der Aufbau eines Medizinstudiums gestaltet sich wie folgt: Vorklinik 2 Jahre – Physikum (1.Staatsexamen), Klinik 4 Jahre – Hammerexamen (2.Staatsexamen), PJ (Praktisches Jahr) – 3. Staatsexamen. Wer es in der Regelstudienzeit schafft: Applaus. Wer nicht: ebenfalls Applaus. Die unterschiedlichsten Gründe machen eine Verlängerung nötig: Nebenjob, durch Prüfungen gerasselt (so was passiert), Belastung, Doktorarbeit . . . es ist keine Schande, wenn es länger als 6 Jahre dauert.

Die Vorklinik…

… ist geprägt von Lernen, Lernen, Lernen. Meine absoluten Lieblingsbücher sind die der Prometheus-Reihe. So tolle Bilder – perfekt um Anatomie zu lernen. Ich hatte sie damals gebraucht gekauft, weil sie neu einfach unerschwinglich waren. Man schläft praktisch mit Büchern ein und wacht mit ihnen auf.

Immer mit dabei: KnochenKalle, mein Skelett. Seine feschen blauen Bermuda-Shorts und der Anglerhut haben mich aber immer vermuten lassen, dass er lieber irgendwo in einem Boot umher geschippert wäre, als mich beim Lernen zu unterstützen.

Wer nicht Lernt, fällt durch. Und in der Vorklinik macht es fast den Anschein, als wolle man dies forcieren. Die Studenten nennen es ‚Aussieben‚. Ein unschöner Begriff für etwas, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Das Medizinstudium als Aschenbrödel: Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Ein Drumherumwinden gibt es nicht. Schriftliche, mündliche, praktische Prüfungen machen es eigentlich unmöglich auf Lücke zu Lernen. So eignet man sich im Studium das Bulimie-Lernen an: Alles rein, ohne Erbarmen und am Tag der Prüfung schwallartig wieder raus – mit der Hoffnung, dass vielleicht irgendwas hängen geblieben ist.

Physik, Chemie und Biochemie zählten für mich dabei zu den schlimmsten Fächern. Abfrage vor den anderen Kommilitonen, oft ein Vorführen des eigenen Nichtwissens. Enzyme von unaussprechlicher Länge – wer hat sich die ausgedacht? Jemand mit Tastatur-Tourette? Im Physikpraktikum werden stundenlang Versuche in Zweiergruppen durchgeführt, dessen Protokoll dann in einem 1A-Zustand sein muss, da man es sonst nacharbeiten darf.

Es gab einen Professor, der ‚der Weiße Hai‘ genannt wurde, weil er an den Praktikumsräumen vorbei streifte und sein schlohweißes Haar dabei in den Sichtfenstern der Türen zu sehen war. Er angelte sich Studenten heraus, befragte sie und schickte sie nach inakzeptabler Leistung nach Hause zur Wiederholung des Praktikumtages – was praktisch zu 75% passierte. Ich hab diese Wochen nur mit Magenschutztablette ausgehalten, weil allein die Vorstellung der Abfrage für eine überschießende Säureproduktion sorgte – Sodbrennen ohne Ende. Nach der bestandenen Klausur keine  himmelhochjauchzende Erleichterung, sondern eher Geschafft-auf-zur-nächsten-Schikane.

Oft kam es mir dabei so vor, als müsse sich das Studium selbst beweisen, dass es als eines der Schwersten gilt.

Meine Studiumtruppe war ein bunter Mix aus Leuten aller Altersklassen. Unter ihnen absolute Genies (mit einem Fingerschnipp durch jede Prüfung), welche mit Berufserfahrung (Physiotherapeuten, Rettungshelfer, usw.) und welche mit Leidenschaft im Herzen und dem Willen, das Studium einfach nur irgendwie zu bestehen. Dabei gilt: 4 gewinnt. Das klingt furchtbar. Natürlich will man einen Arzt, der nur mit den besten Noten abgeschlossen hat – das ist aber utopisch. Die Klausurfragen sind manchmal zum Haare raufen. Man hat seitenweise gelernt und dann wird das Kleingedruckte unterm Bild abgefragt.

Jüngere aus der Gruppe haben mir Physik und Chemie gezeigt und mit mir gepaukt (Physik und ich werden nie best friends), mit anderen teilte ich Hobbies, mit wieder anderen tauschte ich mich über arbeitsreiche Wochenenden aus. Die Mischung hat uns ausgemacht, der Druck des Studiums hielt uns zusammen. Nach dem Physikum zerstreute sich der Großteil in den Norden, Süden und Westen Deutschlands. Ich vermisse noch heute den Zusammenhalt.

Nach dem Physikum dann in …

Die Klinik

Am allerersten Tag des Studiums bekommt man gesagt: ‚Wenn Sie es bis hier her schaffen, kann im Grunde niemand mehr verhindern, dass Sie Arzt werden.‘ (Mit fragwürdigen Aussagen lernt man umzugehen) Und so kommt es auch. Die Professoren nennen einen plötzlich ‚Kollege‚ obwohl man sich vor dem 1. Staatsexamen noch wie Dreck unterm Fingernagel vorkam. Mit der Klinik wird aber vieles besser und vor allem endlich richtig interessant.

Man hat klinikrelevante Fächer und wird in den Fachrichtungen unterrichtet. Dazu folgen meist Praktika, Famulaturen in den Bereichen. Alles so super interessant und vieles leider zu kurz. Neben den großen Fachrichtungen wie Kardiologie, Allgemeinchirurgie oder Pädiatrie (Kinderheilkunde) auch Kleinere, wie die Pathologie. Diese wird gern mit der Rechtsmedizin verwechselt.

In der Pathologie schaut man den Großteil des Tages durch ein Mikroskop und beurteilt Gewebeschnipsel, die einem aus allen Fachbereichen zu geschickt werden. Die Menschen, die dort arbeiten sind wahre Künstler. Was die alles sehen und beurteilen können. Sie sind die ersten, die erkennen ob es sich bei einer Probe um Krebs oder simples Gewebe handelt. Ob es im Guten entfernt werden konnte oder nochmal operiert werden muss. Welches Stadium vorliegt. Hier tun sich Abgründe auf.  Ich starrte in meinem Patho-Praktikum durch das Mikroskop und sah ein Zellmasse. Vielleicht vom Menschen. Es hätte aber auch das Zusammengefegte aus einer Fastfoodkette sein können. 

Früher wollte ich immer in die Rechtsmedizin. Meine Helden waren meist kurios verrückte Rechtsmediziner aus Büchern und Serien. Natürlich sind Verbrechen furchtbar, aber mich interessierte immer das ‚Wie!‘. Probleme mit Sterben, Tod und Blut hatte ich noch nie.
In der Vorklinik hatte ich bereits ein Wahlfach belegt, dessen Thema die biologischen Vorgänge nach dem Tod waren und mich vollends in den Bann gezogen hatten.

Die Vorlesungen vor dem Rechtsmedizin-Praktikum waren schon voll faszinierender Fakten gewesen. Aber auch Schrecklichem: Rationale Zahlen über Kindesmisshandlung und Tatortbilder brannten sich in meine Netzhaut. Unvorstellbar, was Menschen anderen Menschen antun können. Dann das Praktikum. Von Autounfall bis Suiziden war alles dabei.
Eindrücklich waren auch die Gerüche. Den Geruch der Verwesung bekommt man nie mehr aus dem Sinn. Einmal gerochen setzt er sich im Geruchsgedächtnis fest. Eukalyptussalbe gibt es dort wirklich. Das Brennen auf der Oberlippe lenkt sehr gut von dem Geruch ab. 

Wir alle wissen, dass der Tod wie er im Fernsehen gezeigt wird, nicht der Realität entspricht. Kaum jemand hat geschlossene Augen oder Mund. Allein die Schwerkraft sorgt dafür, dass der Unterkiefer seitlich weg kippt und dadurch ein grotesker Gesichtsausdruck entsteht. Die Anzahl der Suizide fand ich besonders erschreckend und die Brutalität, die in unserer Gesellschaft vorherrscht.
Was mir immer noch im Gedächtnis geblieben ist, ist die Aussage unseres Professors, dass er mittlerweile das Fahrradfahren eingestellt hat. In Frankfurt mit dem Fahrrad unterwegs zu sein, wäre irrsinnig.

Ich fahre nach wie vor Fahrrad. Jetzt aber mit Helm.

Bleibt gesund. Eure Mandy

2 Kommentare

  1. Danke wieder einmal für diesen tollen Blog. Ich versinke regelrecht in deine super Interessanten Erfahrungen. Danke das du dein Wissen mit uns teilst. Ich habe wahnsinnig großen Respekt vor dir. Lg aus der WW community.

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