MandysNotizBlog

Die Fachchinesisch-Legasthenikerin

Wer mit Geschwistern aufwächst, weiß wie es ist zu Konkurrieren. Um den Nachtisch, die Aufmerksamkeit der Eltern, Sticker-Alben. Ich hab zwei von ihnen. Wir sind ein großer Haufen Mädels und mittendrin mein Vater. Er hat sich nie beschwert – was hätte es ihm auch gebracht, umzingelt von Frauen.

Meine beiden Schwestern sind unheimlich sprachbegabt und schlau. Ich kann das ohne Neid sagen. Sie sind von Anfang an auf`s Gymnasium gegangen und die Anforderungen an sie waren von Beginn an hoch, weil ihnen scheinbar ‚alles in den Schoß fiel‘. Erst später wurde mir klar, unter welchem Druck sie standen, weil einem eben Nichts einfach mal zufällt.

Meine große Schwester spricht fließend Spanisch, ein hervorragendes Englisch, Wirtschaftsarabisch, etwas Mandarin und in Frankreich hat sie auch eine Zeit lang gelebt – dementsprechend super ist ihr Französisch. Meine kleine Schwester hat ihr Hobby zum Beruf gemacht: Koreanistik. Sie hat es studiert und war ein Jahr lang in Südkorea.

Und ich, bin froh, dass ich so einigermaßen mit Englisch klar komme. Das ich nicht die schnelle Auffassungsgabe meiner Schwestern habe, merkten auch meine Grundschullehrer und empfohlen meinen Eltern, mich auf die Realschule zu schicken. Ungefragt wird man das erste Mal in eine Schublade gesteckt. Und den Eltern obliegt eine schwere Entscheidung, die für ihr Kind prägend sein wird. Da will man nichts falsch machen. Ich gebe es zu: Ich war faul, begriffsstutzig (je nach dem wie ich wollte) und auch unselbstständig. Ich kann ihnen ihre Entscheidung, mich auf die Realschule zu schicken nicht verübeln. Bereits hier wurden die ersten Grundsteine meines schrägen Essverhaltens gelegt: „Windstärke 10, Mandy bleibt stehen.“
Kinder können brutal sein. Ein ebenso prägendes Ereignis, wie die Wind-Theorie meiner Mitschüler, sorgte dafür dass mein Ehrgeiz angespornt wurde. Wenn man für seinen Berufswunsch ausgelacht wird und die Lehrerin einen beiseite nimmt und sagt, dass man sich dafür sehr anstrengen, Studieren und das Gymnasium absolvieren muss, kann man sich zusammenreißen oder aufgeben. Aus welchem Grund auch immer, hat mich die Reaktion der anderen so geärgert, dass ich mich zusammenriss.

Mit einem halbwegs akzeptablen Englisch und einem weniger akzeptablen Französisch ging ich nach der 10. Klasse aufs Gymnasium. Dort durfte ich noch entscheiden, ob ich mir Latein antun möchte. Bitte? Eine tote Sprache, wozu? Es wird mir weder bei einer Pizzabestellung helfen, noch bei Mathe, oder? „Vellem autem esse ut …“ (Ich möchte bitte eine … bestellen) Gab es Pizza schon im Alten Rom? Vielleicht Fladenbrot mit Tomaten…. egal. Ich belegte kein Latein.

In der Krankenschwesterausbildung lernt man ein paar Begrifflichkeiten. Es kam aber weniger darauf an, sich in dieser Form mit Kollegen auszudrücken. Ich liebe es als Krankenschwester zu arbeiten. Hätte sich damals nicht so viel auf einen Schlag verändert, hätte ich vermutlich nie mit dem Studium begonnen. Viele Kollegen hörten auf, wechselten, Neue kamen ins Team, Unfrieden machte sich breit, das ärztliche Team veränderte sich und der Druck in der Pflege nahm zu. Wenn nicht jetzt, wann dann?
Und so begann das Studium. Ich fühlte mich das erste Mal richtig ‚zu Hause‘. Und ich begegnete ihr wieder: Latein. Kein drumherum kommen. Und so saß ich in der Bibliothek, zu Hause, in der Tram (Straßenbahn) und büffelte Begrifflichkeiten. Einige weniger schwer: arteriae, venae, musculus. Andere: Pseudohypoparathyreoidismus, homonyme Hemianopsie (okay, ein wenig Altgriechisch ist auch dabei). Und so stotterte, stolperte und kauderwelschte ich mich durchs Studium bis die Begrifflichkeiten endlich saßen. Aber es dauerte. Mittlerweile war ich in einer Beziehung. Während ich lateinsülzend durch die Wohnung lief, meinte er, dass ich ihn jederzeit beleidigen könnte, ohne das er es je erfahren würde. So kam es sogar dazu, dass es eine Lateingravur in unsere Eheringe schaffte: In omne tempus (für immer, auf ewig)

Und heute? Ich bin froh, dass es überall Untertitel gibt (lach). Fordere mich aber auch immer wieder selbst, indem ich z.B.: Harry Potter in Englisch lese (ganz ehrlich J.K.Rowling – ohne google Übersetzer hätte ich’s nicht gepackt) oder Filme in OV (Original-Version) schaue. Ich war in Oshkosh, Wisconsin, an der Uni und habe es tatsächlich geschafft, dass mich die Leute verstanden. In Ecuador, okay, da hat mich niemand verstanden. Und so lerne ich Spanisch von meiner 2-Jährigen Nichte (ihr Gesicht als sie merkte, dass ich kein Spanisch kann – unbezahlbar) und meine Arztbriefe werden immer besser, werden aber zum Glück immer noch Probe gelesen. Wir wachsen an den Herausforderungen , den Lachern und Kommentaren unserer Mitmenschen. Man kann alles schaffen, wenn man sich dahinter klemmt. Zumindest sollte man es versuchen. So kann einem nie vorwerfen werden, dass man es nie probiert hat.

Und am Wichtigsten: Ich stehe nicht mehr in Konkurrenz zu meinen Schwestern. Es sei denn, es ist nur noch ein Stück Kuchen da. Dann gewinnt leider die Schnellere.

Bis dahin . . . gesund bleiben. Eure Mandy

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