Es ist heiß. Meine Hände geraten ins schwitzen und ich versuche ruhig zu atmen. Keine meiner Bewegung entgeht ihm. Es ist so aufregend, elektrisierend und doch beängstigend – der Verkehr in Frankfurt.
Ich bin eine 38-jährige Frau ohne Führerschein. Dieser Fakt ruft nur allzu oft Verwirrung hervor. Manch einer hält mich für witzig, weil sie denken, dass es ein Scherz ist. Aber so ist es. Kein Führerschein. Ich kenne sie nicht, diese Freiheit fahren zu können, wohin man möchte. Angewiesen auf den öffentlichen Nahverkehr oder noch schlimmer, die d….B…., möchte ich mich nun aus der Abhängigkeit befreien.
Wer meinen Werdegang kennt: Jetzt ist auch endlich das Geld dafür da.
Wie man es schon oft gehört hat: Es ist teuer. Richtig teuer. So teuer, dass es weh tut. Jede Überweisung ein Stich ins Herz. Dann kam mir noch mein Fuß in die Quere. Schaltwagen fahren mit Kuppeln? Nicht möglich – also erst mal Automatik. Und alles verzögerte sich. 1 ½ Jahre. Hätte deutlich kürzer sein dürfen. Ganz so, als solle ich nicht fahren lernen.
Aber ich bin ja hartnäckig. Wie Fußpilz. Und es gab nicht eine Massenkarambolage in der Innenstadt. Oder habt ihr was gehört? Wenn dann war es nicht ich.
Ich hab mich wirklich zusammen gerissen, Schilder gelesen und Fahrradfahrer (egal wie wild sie fuhren) am Leben gelassen.
Dabei waren die Situationen nicht immer angenehm. Das Beobachtet Werden. Die Kritik (nicht zu wenig und leider auch verdient). Dank mir hätte es den ein oder anderen E-Roller-Fahrer weniger gegeben. Aber mein Fahrlehrer, nennen wir ihn Ralf, war einfach zu schnell am Bremspedal.
Gern hätte ich es das ein oder andere Mal hin geschmissen. Aber nun war die Kohle investiert. Wäre doch dumm, es nun zu beenden. Aber Frankfurter Verkehr ist eine ganz andere Hausnummer. Am besten hat man Stielaugen und davon gleich vier, besser sechs, Nerven aus Stahl, die Reaktionszeit einer Katze (meine sind eher die einer toter Katze) und dann diese Baustellen . . . ich habe in dieser Zeit mein Vokabular um viele schlimme, sehr schlimme Worte erweitert.
Aber die Hupe habe ich nur einmal benutzt und gleich Schuldgefühle gehabt. Ralf ist für eine deutlich stärke Nutzung der Hupe. Überhaupt waren seine Lieblingsworte: „Schulterblick“ und „Bitte denk nicht zu viel nach.“
Aller Anfang ist schwer . . .
Standard oder Normalzustand ist es wohl den Lappen zu machen, wenn man 18 Jahre alt wird. Nun bin ich in einer Familie groß geworden, in der es nicht selbst verständlich ist. Das Geld war einfach nicht da. Das Prospekte austragen für Family Frost und das Wochenendarbeiten im Hotel war da nicht ausreichend. Mindestlohn gab es nicht und das ein oder andere wollte man sich von der Quälerei (und das war es) auch was gönnen.
Die Hotelarbeit/Im Restaurant bedienen war eine harte Schule. Irgendwie hatte ich das Ganze fast verdrängt. Meine Ma, die aus der Branche kommt, bestand auf das akkurate Beinkleid: Schwarzer Rock, Strumpfhose, Bluse und meist hässlich, aber praktische Schuhe, und brachte mir bei die Teller stilecht zu tragen. Man, ich wollte nur etwas Geld verdienen und nicht die Restaurantleitung übernehmen.
Womit ich nicht klar kam, war das Runter Putzen und Degradieren der Angestellten vor den Augen der anderen. Ob bei den Bediensteten oder in der Küche – keine Ahnung, wie man sich für die Richtung der Arbeit entscheiden kann. Jeder Angestellte hat etwas Respekt verdient. Runter Putzen geht auch unter vier Augen.
Außerdem liebte ich das Fahrradfahren. Damit kam man auf dem Land nicht wirklich weit, aber es gab mir fürs erste eine Unabhängigkeit, die mir ausreichte. Freunde machte ihre Prüfung, ich konnte mit fahren und irgendwie hat sich immer ein Schlupfloch ergeben, durch das ich dann auch schlüpfte.
Ja, es wäre schöner mit gewesen. Vielleicht hätte ich meine Oma dann nochmal gesehen. Freunde öfter besuchen können. Aber: hätte, hätte . . . Fahrradkette.
In Frankfurt angekommen, gab es dann den Öffentlichen Nahverkehr, der seit dem immer schlechter wurde. Immer mit dabei, mein Fahrrad. Sehr treu, aber leider nicht unkaputtbar. Wie anstrengend mit dem Rad einzukaufen. Aber nichts ist unmöglich (was für ein Zufall, dass es ein Toyota-Slogan ist)
Und als ich dann meinen Mann kennenlernte, der ein Auto für, war da wieder ein Schlupfloch, durch welches ich erneut entkam.
Es war eine kuschelige, bequeme Ecke, in der ich es mir gemütlich gemacht hatte. Meine Komfortzone. Ich musste nicht aus ihr heraus. Ich konnte Abende genießen, etwas trinken, mich nach Hause bringen lassen, mich abholen lassen, mich hin fahren lassen. Warum etwas daran ändern?
Die Komfortzone verlassen
Weil man sich neuen Herausforderungen stellen muss. Und ich wollte auch einer gewissen Abhängigkeit entkommen. Als ich mich anmeldete, die Theorie absolvierte spürte ich, dass nicht das meine Problem war. Sondern das Fahren. Die Angst vor den anderen. Vor dem Ungewissen. Werde ich ankommen? Werde ich durch die Dummheit eines anderen sterben? Oder noch schlimmer, durch meine eigene Dummheit nicht schnell genug zu reagieren?
Die Verletzungen, die ich im Schockraum sah . . . trieben diese Angst noch voran. Die Opfer, die Täter. War das ein Grund, es nicht zu machen?
Um ehrlich zu sein, NEIN. Es gibt immer einen Grund, etwas nicht zu tun. Sich aber deshalb vieler Möglichkeiten zu berauben ist es nicht wert.
Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal solche Angst hatte. Solche Freude verspürte. Ein Kribbeln im Magen. Die Enttäuschung, wenn etwas schlecht lief. Und das war oft der Fall.
Ich kann stolz behaupten, dass ich an meiner eigenen Verzweiflung gewachsen bin.
Was für ein Fahrer bin ich?
Als Beifahrer habe ich so einige Erfahrung gemacht. Bei meinem Mann und einer Freundin fühle ich mich am sichersten.
Mein Vater hat ein Bleifuß und einen unverwüstlichen Magen. Er fährt meiner Meinung nach zu schnell um Kurven und es drückt mich zu sehr in den Sitz. Meine Ma hat keinen Führerschein, meine kleine Schwester auch nicht. Meine große Schwester hat einen Führerschein. Aber ich bin zu selten mit ihr gefahren, um mir eine Meinung zu bilden.
Ich bin mit jemanden gefahren, der seine Gurte abmontiert hatte um sich zu beweisen (ich dachte nicht, dass ich zu Hause ankomme), jemand der Gas gab und sofort Bremste und dies in einem 5 Sekunden Takt und mit Mittelspurschleichern.
Und dann fuhr ich in der Fahrschule selbst und merkte: mit mir will sicher keine fahren oder besser SOLLTE keiner Fahren. Welche Geschwindigkeit war da noch gleich? Ich will Links, wieso genau nochmal blinke ich rechts? Kann oder muss ich die Spur wechseln? Muss ich hier abfahren? Oh Gott, ich fahr so schnell. War das die Sonne oder wurde ich geblitzt?
Ein Wechselbad der Gefühle.
Andere zu kritisieren ist immer leicht. Dem ganzen aber selbst ausgesetzt zu sein ist etwas ganz anderes. Ich entschuldige mich bei alles anderen Fahrern, die je das Pech haben mit mir an einer Kreuzung zu stehen oder auf der Autobahn zu fahren.
Vor allem, weil ich aktuell Schaltwagen fahre, aber die meiste Erfahrung mit dem Automatik habe.
Bestanden
Der Tag meiner Prüfung war ein regnerischer Tag. Das einzige, was ich mir für meine Prüfung wünschte war, dass es NICHT regnete. Meine Leidensgenossin stieg auf der Beifahrerseite aus und suchte das Weite – oh Gott, nicht bestanden.
Mein Prüfer stieg aus und war ein Mann mit Aktentasche, korrekt sitzender Frisur und akkurat geschnittenem Anzug. Ich schluckte und begann zu schwitzen. Regen und 27 Grad Celcius. Ich schwamm in meinen Klamotten. Also stieg ich ins Auto, meine Brille beschlug augenblicklich, der Prüfer stieg ein, Smalltalk (wenn ich etwas kann, dann das) und dann ging es los.
Ich fuhr und fuhr, ich wendete, ich bog ab, ich fuhr Autobahn (aaaaaahhhhhhhh), ich fuhr ab, ich machte eine Gefahrenbremsung (aaahhhh) , ich fuhr zum TÜV, ich parkte ein und habe 2 kg durch Schwitzen verloren. Aber ich hatte bestanden. Ich wollte Heulen, hatte aber keine Flüssigkeit mehr in mir.
Da war sie, die Chipkarte, die die Welt bedeutet, also known as Lappen. Ich musste nicht zurück fahren. Adrenalin hätte mich auch eher fliegen lassen.
Ich hatte bestanden. War das wirklich passiert? Oh Gott, muss ich jetzt wirklich Fahren?
Ich fahre, aber frag nicht wie
Wir haben einen alten Schaltwagen. Ich saufe ab. So oft es geht. Es wird zwar besser, aber mein Gott, das kann man nicht fahren kann, auch wenn die Reifen rollen. Ich weiß, mit dem Schaltwagen begann es nun mal. Aber es ist so viel einfacher und komfortabler mit einem Automatik. Warum sollte man sich dem Stress aussetzen und Schalten? Auch hier entschuldige ich mich, nicht bei den BMW-Fahrern, die rastlos hupen, auch nicht bei den Mercedes-Fahrern, die keinen Blinker kennen. Aber bei allen anderen, die vermutlich denken: Wer hat denn da einen Schlaganfall am Steuer? Ich bessere mich – ich schwöre.
Ich bin eine 38-jährige Frau mit Führerschein. Und kann es nicht warten, die Welt zu erkunden.
Eine Kollegin sagte letztens, dass Automatik fahren doch viel zu langweilig ist. Ich liebe Langeweile. Ich brauche Langeweile, ich brauche einen Langeweile-Puls, damit ich im richtigen Moment keinen Herzinfarkt bekomme. Was ich in jedem Fall tue: ich fahre – wenn ich den Mut aufbringe.
Fahrt vorsichtig. Eure Mandy
Liebe Mandy,
zu allererst HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH zum Führerschein. Meinen Führerschein habe ich im Alter von 25 Jahren (das war 1980) gemacht (vorher kein Geld dafür). Gefahren bin ich kaum, da ich mir ein Auto nicht leisten konnte. Dann habe ich meinen Mann kennengelernt und er fuhr Auto und ich habe, genau wie du, die Komfortzone gewählt. Ich hatte nie sonderliches Interesse am Autofahren, habe mich aber sehr oft über mich selbst geärgert, dass ich nicht fahre. Leider war meine Angst vor dem Fahren aber größer als der Wille es zu tun. Irgendwann habe ich die „Magdeburger Angsthäsinnen“ entdeckt (bringen Frauen nach laaaanger Abstinenz wieder das Autofahren bei) und was soll ich dir sagen, in Magdeburg konnte ich fahren und es machte mir sogar Spaß. Wieder zu Hause: Maximal 10 – 15 x gefahren und das war’s.
Nun, nach über 40 Jahren habe ich 10 Fahrstunden genommen, weil ich es satt hatte, abhängig zu sein und bin verschiedene Male kurze Strecken gefahren (sehr kurze……). Aber: Endlich habe ich mich getraut und bin ALLEINE unterwegs gewesen. Das hatte ich immer vermieden. Ich muss noch kräftig üben und hoffe sehr, dass ich am Ball bleiben werde und nicht wieder in die Angstspirale falle.
Dir drücke ich von ganzem Herzen die Daumen für‘s Autofahren (du schaffst das, jeden Tag ein bisschen mehr) und wünsche dir allzeit gute Fahrt.
Liebe Grüße, Roswitha
Vielen Dank, liebe Roswitha.
Ich traue mich auch noch nicht allein im Auto zu sitzen. Mein Mann ist ganz tapfer und begleitet mich immer 😉 Bin wirklich gespannt, wie es sein wird.
Meine Hochachtung vor deinem langen Weg, welchen du nun per Auto bewältigen kannst.
Du hast alles richtig gemacht.
LG aus Frankfurt, Mandy
Herzlichen Glückwunsch zur rollenden Freiheit 🍀👏🎉