Teil 2
Der Schockraum – Endgegner
(Musikempfehlung für die gefühlte Empfindung: Dustin O’Halloran – Lion Theme; ‚Alexa: Spiel ‚Lion Theme‘)
Nach dem Auflegen bin ich noch etwas duselig. Es muss albern aussehen, wie ich schlaftrunken am Bettrand sitze, nicht wirklich wissend was und wann ich bin.
Unter laufender Reanimation. Himmel, nun bin ich richtig wach und aufgeregt. Ich stehe auf, ein Schmerz durchzuckt meinen linken Unterschenkel. Schnell sinke ich auf den Bettrand zurück. Das Gelenk ist noch ‚eingerostet‘. Ich bewege es durch, mache ein paar Übungen und vollführe in einer furchtbaren Pirouette einen höchst verstörenden Klamottenwechsel.
Humpelnd verlasse ich das Zimmer Richtung Schockraum. Gehe im Kopf alles durch, was ich zur Schockraumversorgung weiß. Es ist knapp 30 Minuten her, dass ich mich hingelegt habe. Während des Laufens werde ich warm. Der Fuß läuft langsam rund.
Im Schockraum angekommen, steht schon fast das ganze Team bereit. Pflege, Chirurgie, Radiologie, Anästhesie – ich bin aufgedreht. Meine Ohren rauschen vom hohen Blutdruck und dem Adrenalin.
Mit meinem Kollegen gehe ich ein paar Dinge durch. Wir tragen bereits klobige Bleiwesten (die mich gefühlt 5 cm kleiner werden lässt) und Schutzkittel. Ein schwerer Arbeitsunfall. Die 15 Minuten sind fast um und die Kollegen, sowohl von der Pflege als auch der ärztlichen Seite, beginnen im Raum hin und her zu tigern. Die Stimmung ist gespannt, aber freundlich und das, obwohl alle müde sind und Augenringe haben. Man kennt sich, tauscht sich aus, wie müde man doch ist, lacht und sagte, dass die Nacht fast geschafft ist. Ich kenne fast niemanden, fühle mich wie am ersten Schultag und doch in so einer wichtigen Rolle, obwohl ich vermutlich das kleinste Licht im Raum bin.
Dann die Nachricht, dass sich der Rettungswagen plus Notarzt verspäten. Mein Kollege hat sich steril gemacht für das Legen von Zugängen. Alles ist vorbereitet. Insgesamt werden wir noch 30 Minuten warten. Es ist kurz vor 4 Uhr. Ich stehe an der Position des Kopfes. Direkt neben mir mein Kollege, der beruhigend auf mich einspricht, dass wir alles gemeinsam machen.
Das Notarztteam mit dem Patienten kommt herein. Medizinische Fakten, erste Eindrücke und Aufregung prallen wie in einem Urknall aufeinander. Als erstes fällt mir die Blässe der Haut des Patient auf. Er wird wie angekündigt reanimiert. Wir hören uns die Übergabe an – alle sind höchst konzentriert. Hier geht es um ein Menschenleben.
So viele Gedanken schießen mir durch den Kopf: Das ist der Moment, für den ich Studiert und Gelernt habe. Hab ich genug gelernt? Ich hätte damals nicht dieses eine Kapitel auslassen sollen. Das über ‚Erste Hilfe‘. So ein Blödsinn. Du hast einen Notarztkurs erfolgreich absolviert. Du bist Ärztin. Oh Gott, du bist Ärztin! Du bist eine von vielen im Raum. Du bist ein Team. Du bist nicht nur Du! Da ist jemand der auf dich aufpasst. Da pickt was im Auge. Oh man, wie siehst du eigentlich aus? Hast du das Dienstarztzimmer zu geschlossen?
Da ich am Kopf stehe, ist es meine Aufgabe die Ansagen zu machen. Es rauscht in meinen Ohren. ‚Einatmen, Ausatmen.‘ Wir lagern auf mein Kommando um. Ich sehe direkt auf den Kopf des Patienten hinab. Seine Augen geschlossen, getrocknetes Blut, die Haut fahl. Es läuft so viel gleichzeitig ab. Alles was ich tue, sage ich laut an, höre auf Rückmeldung, schaue aus dem Augenwinkel, was meine Kollegen aus den anderen Fachrichtungen tun. Alles funktioniert wie ein gut geöltes Uhrenwerk. Ein Ballett aus einstudierten Handgriffen und Manövern.
Ich ziehe die Augenlider hoch und sehe in weite, lichtstarre Pupillen, in denen kein Leben mehr zu sein scheint. Es sind nur Bruchteile von Sekunden. Selten ist man Menschen so nah, ohne Einwilligung, ohne einen Cocktail ausgegeben zu haben. Ich werde von Adrenalin durchflutet und funktioniere doch mit einer Ruhe, die ich so nicht erwartet hätte. Im Nachhinein ist vermutlich so viel neben meiner Aufmerksamkeit abgelaufen, wie es eben nur einem Anfänger passieren kann.
Ich sehe in den Mund, sauge das Blut ab. Höre auf die Lunge, da er bereits mit einem Beatmungsschlauch ausgestattet ist. Kein Atemgeräusch auf einer Seite zu hören. Ich spreche es laut aus – die Chirurgen geben das Feedback und reagieren. Ich warte immer wieder auf Anweisung von meinem Kollegen, ob ich etwas vergessen habe, etwas machen soll, aber auch er arbeitet konzentriert mit einem Auge auf mich.
Es wird Zeit für die Bildgebung, fast alle müssen raus. Das CT vom Kopf zeigt bereits den großen Schaden, den der Arbeitsunfall angerichtet hat. Die Bilder und das eintreffende Labor bestätigen dies. Ich stehe mit verschränkten Armen vor der schweren Weste im Hintergrund und versuche alles zu verarbeiten.
Zusammen mit der bereits erfolgen Reanimation, die von uns noch fortgeführt wurde, wird unter den Kollegen der unterschiedlichen Fachrichtungen abgesprochen, dass die Reanimation nicht fortgeführt wird. Ein so junger Patient . . . mit einem Ohr höre ich, dass der Patient vor ein paar Jahren schon mal da war. Die Nummer seiner Freundin sei gespeichert. Erst jetzt spüre ich die Schwere der Bleischürze, wie meine Brust versucht gegen sie zu atmen. Der Mundschutz, der auf einmal zu eng fürs Gesicht scheint. Und wende mich von den Kollegen ab. Fühle mich von mir selbst ertappt, wie die Realität zu mir durch dringt.
Ich sehe in den Innenhof, sehe das Morgenlicht, welches die Nacht mit aller Macht verdrängt.
Seine Freundin, die ihn vermutlich zur Nachtschicht verabschiedet hat und am Morgen auf mit Kaffee oder Frühstück warten würde. Die Zeit ist verflogen. Es ist nach 5 Uhr.
Er wird nicht mehr zurück kommen.
Die Bleischürze wirkt auf einmal so schwer auf den Schultern.
Die Fragen, die sie sich stellen wird. Die wir uns auch stellen würden. Hatte er Schmerzen? Was genau ist passiert? Hat er noch was mit bekommen? Letzte Worte.
Der Tod – ein nicht gern gesehener Mitarbeiter
Ich spreche mit meinem Kollegen. Er fragt, ob alles okay und obwohl ich sage, dass es okay ist, ist es nicht okay. Aber ihn zusätzlich damit zu belasten, erscheint mir wie Zeitverschwendung. Es ist nicht das erste Mal, dass ich dem Tod begegne. Schließlich ist er ein einschlägiger, aber nicht allzu gern gesehener Mitarbeiter. Man versucht ihm aus den Weg zugehen, nicht per Du mit ihm zu sein.
Im Studium, die erste Vorlesung in der Klinik, sagte der leitende Dozent: ‚Halten Sie ihren Friedhof klein.‘ Es ging um das wertvolle Gut ‚Menschenleben‘. Sich dessen Bewusst zu sein, genau zu arbeiten, keine Routine auf kommen zu lassen. Ich musste seit seiner Vorlesung und noch öfter seit meiner Approbation daran denken.
Natürlich gehört der Tod zu unserem Job. Es gibt kein Leben ohne Sterben. Es zu akzeptieren, dass man nichts mehr tun kann, ist nichts desto trotz schwer. Sehr schwer.
Ich stehe neben dem Radiologen, der noch einmal die CT-Bilder durchgeht. Mein Blick starrt immer noch auf den jungen Mann im Schockraum, der noch vor wenigen Stunden Wünsche, Träume und Erwartungen ans Leben hatte. Der (hoffentlich) mit Liebe von einer Mutter und einem Vater erzogen wurde. Der wie wir alle in der Schule gelitten hatte, versuchte den normalen Alltag zu meistern.
Wäre er mir sympathisch gewesen? Hätten wir über die gleichen Witze gelacht? Ist das überhaupt wichtig?
Ein Moment der Unachtsamkeit und es war vorbei. Ich helfe noch beim Umlagern auf ein Patientenbett. Wische mit feuchten Kompressen das getrocknete Blut auf seinem Gesicht weg. Und spüre, wie mein Kinn, meine Unterlippe unter der Atemmaske zittert. Räume mit der Pflege blutige Unterlagen weg, fahre das Beatmungsgerät runter, von dem der Patient schon diskonnektiert wurde und warte, bis die Kollegen ihn aus dem Raum gefahren haben.
Danach
Ich werde an diesem frühen Morgen nicht mehr zum Schlafen kommen. Obwohl kein Operationssaal mehr läuft, hält mich das Geschehende wach.
Nach so einer Nacht fühle ich die Schwere des Lebens, dem ganzen einen Sinn zu geben. Ich starre Richtung Skyline und versuche nicht zu viel zu philosophieren und rein zu interpretieren. Und spüre gleichzeitig wie ich mich frage, ob ich dadurch seinen Tod nichtig mache?
Es wiegt schwer auf meinen Schultern.
Die Straßenbahn wird mich nach Hause bringen und ich werde eine große Runde mit unserer Hündin drehen, ob der Fuß will oder nicht.
Ich habe vor kurzem den Notarztkurs absolviert. Mir fehlen noch Praktika und die Prüfung, aber auch dann werden mich solche Situationen erwarten. Davor graut mir. Ich gehöre aber auch zu den Menschen, die auf das Gute hoffen. Es muss einfach so sein. Punkt. Sonst kann man meiner Meinung nach, keinen Notarztwagen besteigen.
Mein Mann und meine Familie fange mich nach solchen Ereignissen auf.
Ich gebe zu, natürlich habe ich mir das Krankenhaus nach solchen Aspekten ausgesucht. Erfahrungen sind ein ungetrübter Vorteil für die Zukunft. Das war auch schon als Krankenschwester so. Und so lang man es zulässt, werde ich diese Chancen nutzen.
Wir haben ihn geschafft, den 24h-Dienst. Danke, dass ihr dabei wart und mit mir mit gefiebert habt.
(Angaben zu Kollegen und Person wurden geändert, zum Schutz des Patienten und zur Wahrung der Identität)
wow. ganz toll geschrieben. Ich stelle es mir auch unglaublich schwer vor solche Situationen zu ertragen. Mein bester Freund ist sehr erfahrener Arzt und Notarzt und hatte vorgestern einen furchtbaren Einsatz. Ein junger Mann ist in ein Güllesilo gefallen. Tot. Er sagte: Das sind Menschen an die man noch oft denken wird. Das ist anders als die 97 jährige Oma die stirbt.
Alles liebe für dich
♥️
Du sprichst mir aus der Seele. Mein Friedhof ist leider groß, ich habe immer gesagt “ Ich habe einen Friedhof in meinem Kopf“ und lese jetzt gerade hier von dir, dass es dir genauso geht.Es ist sehr schwer das Geschehene nicht mitzunehmen. Sogar nach Jahren beschäftigen einige Fälle mich immer noch. Ich wünsche dir alles Gute. Vergiss bitte nicht, dir selber auch genug Zeit umd Fürsorge zu schenken. PS: 24 St Dienste sind unmenschlich und müssen verboten werden.