MandysNotizBlog

24h-Dienst mit mir – eine Hommage an die Anästhesie oder wie man dem Oberarzt das Sushi weg(fr)isst

Teil 1

Bekommt ihr eigentlich gerade dieses unglaubliche Wetter mit? Also das Wetter, das sich nicht entscheiden kann zwischen winterlich, früh- und hochsommerlich? Das Wetter, bei dem einem jede implantierte Schraube im Knochen weh tut?

Obwohl ich keine Freundin von heißem Wetter bin und mich der Wechsel auch ziemlich aus der Bahn warf, hab ich die paar Tage mit hohen Temperaturen sehr genossen. Denn ich bin nun in einem Alter, in dem ich mich über heißes Wetter freue, weil ich den Wäschekorb leer bekomme. Diese elenden Handtücher und Spannbettlaken, die schon seit Wochen im Korb darauf warten, mal wieder das Tageslicht zu sehen.
Oldschool trockneten sie auf dem Balkon, denn in unsere kleinen Frankfurter Wohnung passt kein Trockner. Für das eine fehlt uns der Platz, für das andere das nötige Kleingeld.

Etwas Glück im 24h-Dienst ist immer gut

Jetzt kommt mir nicht mit dem Argument ‚Aber du bist doch Ärztin!‘
Es ist nicht so wie viele denken, dass man im Arztberuf unglaublich viel verdient. Vor allem nicht als Assistenzarzt. Ich will mich aber auch nicht beschweren. Ich führe endlich ein Leben, in dem ich keine Angst mehr haben muss, auf mein Konto zu schauen. Und das ist schon eine große Erleichterung. Es fühlt sich sicherer an. Das Leben, dass ich mir aber vorstellte, ist es nicht. Ich hatte eine Traumvorstellung vom Arztberuf, der ich bereits im ersten halben Jahr kompromisslos beraubt wurde.
Nun arbeite ich schon zwei Jahre in der Anästhesie. Und da ihr mir immer schreibt, dass ihr es so aufregend findet, wenn ich von der Arbeit erzähle, bekommt ihr nun einen vollen Schwung Arztsein ab.

Bereit? Dann lasst uns mal starten. Und wir müssen gut vorausplanen, denn wir haben heute einen 24-Stunden-Dienst. Packt eure Taschen.

Guten Morgen

Es ist 05:35 Uhr. Der Wecker klingelt. Guten Morgen, Frankfurt. Ich bin schon seit ungefähr 35 Minuten wach. Seit dem fliegen nämlich die Flugzeuge über uns hinweg. Wir wohnen in einer der Einflugschneisen von Frankfurt. Und kurz vor 5 Uhr heißt es ‚Schluss mit der Nachtruhe‘.

Ich klettere über meinen Mann hinweg, kraule den Hund im Vorbeischlurfen und schlüpfe aus dem Schlafzimmer. Der erste Gang geht in die Küche. Da habe ich mir meine Medikamente gerichtet, dass ich den Tag (so gut möglich) schmerzfrei überstehe. Dann schnell ins Bad, Zähneputzen, Haare richten (muss ja niemand sehen, dass ich das Bett mit meinem Kopf umgegraben habe) und etwas Morgenroutine, damit doch etwas Leben ins Gesicht kommt. Was früher unglaubliche 30 Minuten dauerte, ist heute in der Hälfte der Zeit geschafft und das, ohne das der Stuckateur kommen muss. Dann packe ich mir mein vorbereitetes Essen aus dem Kühlschrank in die Tasche. In den Rücksack kommt das Frühstück. Richtig gelesen. Wir haben einen Rucksack und eine Tasche. Im Rucksack befindet sich der ganze Krempel für den Tagdienst, in der Tasche das Zeug für die Nacht, inklusive Zahnbürste, Seife, Frischetücher, Schlafklamotten, Kompressionsstrumpf und -socke, je nachdem wie mein Fuß drauf ist und dies und das.

Dann schnell eine kleine Schale Müsli vorbereitet – normalerweise Intervall-Faste ich – aufgrund der Medikamente esse ich aber etwas, dann vertrage ich sie besser. In der Wohnstube mache ich ein paar Lockerungsübungen, denn der Fuß/Bein/Hüfte ist steif von der Nacht. Und ehe wir uns versehen, ist es 06:30 Uhr. Mein Mann steht auf und ich zieh mich langsam an. Denn wir fahren mit dem Fahrrad zur Arbeit. Aber nur, weil die Straßenbahn, die früher direkt zur Arbeit gefahren ist, für ein Jahr nicht verkehrt. Der Umweg wäre mit mehrmaligen Umsteigen verbunden, deshalb also mit Fahrrad. Mit dem Fahrrad brauch ich im Moment (wegen dem Fuß) lang. Hinzu kommt das Extragepäck. Nach 35 Minuten sind wir da. Verschwitzt und gescheucht vom Hupen der Autos, aber ohne Unfall.

Der frühe Vogel und so

Ich mag es gerne, etwas früher in der Klinik zu sein. Es sind noch keine Kollegen da, keine Patienten. Nur die Pflege, die schon vorbereitet, lacht und den Ablauf bespricht. Ich mag diesen Teil des Tages sehr gern. Der Druck zu funktionieren, schneller zu machen, ist noch nicht da. Ich komme mit der Pflege immer noch am besten klar. Vielleicht weil ich 15 Jahre dort gearbeitet habe? Ich weiß es nicht. Aber ich denke gern an die Zeit zurück. Bereue ab und zu, wie viel Zeit mir durch die Ausbildung verloren gegangen ist. Vor allem, wenn ich die jungen Kollegen sehe. Ich bin oft 10 Jahre älter. Wenn sie in meinen Alter sind, sind sie längst Fachärzte, habe ihr Dr.med.. Ich habe bisher nichts von beidem. Das gibt mir oft zu grübeln, weil mir in diesem Beruf immer vermittelt wird, dass man es innerhalb kurzer Zeit zu etwas bringen sollte.

Man soll nicht leugnen, was man ist – ein Krümelmonster

Ich bin in Grün umgezogen, trage eine meiner Op-Hauben (+ eine saubere Op-Haube drüber, nicht, dass ich noch Keime von zu hause mit bringe) und bewege mich richtig OP. Der Saal, in dem ich eingeteilt bin ist noch leer. Ich schaue mir den ersten Patienten digital an, begutachte seine Anamnese, die ein Kollege erhoben hat, gehe das Risiko für die Narkose durch, schaue, was er für die OP benötigt, um gut abgesichert zu sein. Dann gehe ich in den Vorbereitungsraum, treffe meine Anästhesiepflege, berede alles mit ihnen. Diese Leute sind für mich das beste am Beruf. Sie sind eines der wichtigsten Stellräder im System und ich arbeite so gern mit ihnen zusammen. Wir werden den Tag bis 15 Uhr zusammen verbringen, dann findet der Schichtwechsel statt. Aber bis dahin ist noch viel Zeit.

Es beginnt . . .

Es ist 07:20 Uhr. Der Patient kommt. Hier rufe ich mir ins Gedächtnis, wie ich mich bei meiner OP gefühlt habe: ängstlich, mit der Hoffnung, dass da jemand ist, der weiß was er tut.

Ich mache das Team-Time-out. Der Patient verdreht die Augen. Das hätte er schon mindestens 4 Mal heute gemacht. Ich gratuliere ihm, denn das bedeute, dass das System funktioniert und er heute nicht die Beinverlängerung und die Brustvergrößerung bekommt. Denn er bekommt heute eine Tumor-Op im Bauchraum. Sie findet offen statt. Das bedeutet, dass der Bauchraum eröffnet wird. Das entspricht einer großen Operation. Keine, die man laparoskopisch durchführen kann.

Aber erst mal wird das Team-Time-out beendet. Es stimmt alles überein. Dann wird er an den Monitor angeschlossen, bekommt einen Zugang, die Blutdruckmanschette und wird dann für den Schmerzkatheter vorbereitet.

Ein Bauchschnitt längst vom Brustbein über den Nabel ist schmerzhaft. Ein Schmerzkatheter wird dafür sorgen, dass der Patient während und nach der Operation wenig bis gar keine Schmerzen mehr hat. Dafür muss er in einer sitzenden Position sein. Ich positioniere ihn, lasse mir die Materialien richten. Zwischendrin kommt mein Oberarzt herein, begrüßt den Patienten und wir gehen kurz durch, was gemacht wird.

Dann lege ich unter Beobachtung des Oberarztes den Schmerzkatheter über die Wirbelsäule an. Das ist unangenehm, aber das ganze Team ist für den Patienten da, um ihn in dieser unangenehmen Situation zu begleiten. Wenn der Schmerzkatheter befestigt ist, darf sich der Patient wieder hinlegen. Er wirkt entspannt, sein Blutdruck und sein Puls sagen aber etwas anderes. Ich halte ihm die Sauerstoffmaske vors Gesicht und frage ihn, wo er zuletzt im Urlaub war. Er lächelt unter der Maske und sagt ‚an der Ostsee‚. Ich werde aufgeregt. ‚Da kenne ich mich aus. Kennen Sie den Strand in Prora?‘ Wieder ein Lächeln. Ich lasse das erste Medikament geben. ‚Denken Sie an den kalten Sand zwischen Ihren Zehen. Den Algengeruch in der Nase.‘ Das zweite Medikament wird von meiner Pflege verabreicht.‘ Und den Heringsgeschmack auf der Zunge.‘ Ein letztes Zucken der Mundwinkel, mein Patient verliert das Bewusstsein und entschwindet Richtung Ostsee, wo er von schäumender Gischt und an den haarenziehendem Wind empfangen wird.

Jetzt kommt meiner ‚großer Auftritt‘. Der Moment, bei dem es mir immer wieder in den Fingern kribbelt. Mein Oberarzt steht vielleicht etwas Abseits, seine wachen Augen ruhen aber in jedem Augenblick auf mir, bereit im Notfall einzugreifen.

Das Einführen des Beatmungsschlauchs über den Mund über den Kehlkopf, durch die Stimmbänder in die Bronchien geht problemlos. Meine Pflege und ich sind obwohl wir nicht täglich zusammenarbeiten ein gut funktionierendes Uhrenwerk. Jeder Handgriff sitzt, jede Anweisung wird ausgeführt. Die Beatmung übernimmt das Narkosegerät, welches von uns eingestellt wird. Ich höre die Lunge ab, der Brustkorb hebt und senkt sich. Blutdruck und Frequenz sind gut. Patient ist stabil. Das Narkosegas wird aufgedreht.

. . . und geht weiter

Und weiter geht’s. Der Patient benötigt für die lange Operation einen zentralen Venenzugang (ZVK) und einen arteriellen Zugang, ich beschreibe es immer gern als Live-Ticker für den Blutdruck. Dadurch erhalten wir sekündlich einen aktuellen Blutdruck und können im Notfall schneller und effizienter reagieren. Mein Oberarzt lässt sich nicht lumpen und hilft heute mit. Während ich den ZVK am Hals lege, legt er den arteriellen Zugang am Handgelenk. Die Tür zum OP-Saal geht auf. Die OP-Pflege fragt, ob sie schon den Blasenkatheter legen kann.

Ihr merkt schon, von hier ab sollte alles relativ schnell gehen. Je nachdem, wie gut die Gefäße des Patienten mit spielen, geht es auch schnell. Der Oberarzt bringt alles an Erfahrung mit, wovon der Assistenzarzt lernen kann. Das puscht das Anästhesie-Team ungemein. Und so blöd es auch klingt, die Launen jedes einzelnen spielen hier auch mit rein. Die Patienten merken das relativ schnell und sind immer wieder begeistert davon, wie wir als Team agieren.

Während ZVK und Arterie gelegt werden, wird immer wieder bei Blutdruck, Frequenz und Atemphysiologie justiert, so dass alles optimal angepasst ist. Und dieser Ablauf ist genau das, was mich an diesem Beruf so begeistert. Man muss seine Augen überall haben, damit alles funktioniert. Das sind ungefähr 45 Minuten, bis der Patient im OP-Saal ist, gelagert ist und alles für die Operation bereit ist. 45 Minuten in denen mein Blutdruck und mein Puls ebenfalls hoch sind. Denn ich will das Beste für den Patienten. Außerhalb der Klinik wartet einen Ehefrau, eine Tochter, ein Sohn, eine Freundin darauf, dass der Anruf kommt, dass alles gut gegangen ist.

Bei jedem Patienten stelle ich mir vor, dass hier mein Papa, mein Mutterschiff, eine meiner Schwestern liegt und für sie will ich nicht weniger als das Beste. Ist die Wärmedecke richtig angelegt? Macht der Blutdruck Sinn? Ist das dass richtige Medikament in der richtigen ? Und bin ich mir unsicher, muss leider mein Oberarzt darunter leider, weil ich ihn dann mit Fragen belästigen werde, bis ich zufrieden bin. (Und ich bin schwer zufrieden zu stellen)

Im OP-Saal

Wenn der Patient im Operationsaal ist, er gelagert, mit Jodlösung abgewaschen und abgedeckt ist, beginnt das letzte Team-Time-out. Ich stehe an seinem Kopf, beobachte seine Atmung wie bei einem schlafenden Kind und hab ein Auge auf seine Vitalzeichen. Es sei denn ein Kollege wird mich ablösen.

Bis dahin bin ich Schlüsselmeister und Torwächter zugleich und immer an seiner Seite. (Habt ihr es erkannt?)

Oder doch besser zeigen, was man liebt?

Mit Beginn der OP wird es nochmal spannend. Verspürt der Patient Schmerzen? Atmung- und Schmerzoptimierung erfolgen. Dann wird es etwas entspannter. Meine Frequenz und Blutdruck wird etwas ruhiger. Ich setze mich am Kopf des Patienten, gegenüber des Narkosegerätes hin und atme tief ein. Optimalerweise ist es jetzt gegen 9 Uhr. Ich lege den Fuß etwas hoch, der vom Fahrradfahren und Stehen angeschwollen ist. Im 24-Stunden-Dienst habe ich den Kompressionsstrumpf an. Dann ist die Schwellung kein Problem. Zu dieser Uhrzeit habe ich dann wenige bis keine Schmerzen. Ich trage meine Zeiten im Computer ein, unterhalte mich mit der Op-Pflege und habe mich durch meine gewählte Position immer ein Auge auf Blutdruck und den Rest der Vitalparameter.

Während der Operation, ich sitze abgeschirmt hinter einem blauen Tuch, muss ich immer ein offenes Ohr für die Anordnungen (gerne Wünsche genannt) der Chirurgen habe. Dadurch, dass ich immer wieder die Nähe des Op-Pflege suche, bleibt mir nichts verborgen. Nicht umsonst spinne ich im Op meine Connections wie eine Spinne. Ich bekomme über alles Informationen, wenn ich nur oft genug darum bitte (oder nerve?). Wir sind schließlich ein Team mit dem Patienten im Mittelpunkt.

Es wird später

So und ähnlich läuft es dann auch mit dem nächsten Patienten ab. Bis am Nachmittag der Schichtwechsel statt findet. Bis dahin hatte ich eine 10- und 30-Minuten Pause, im Optimalfall. Ab 16 Uhr sollten eigentlich nur noch wenige Operationssäle laufen, denn ab 16:20 Uhr endet der Tagesdienst meiner Kollegen. Wir bleiben ja etwas länger.

Meistens bin ich zu der Zeit in der Trauma eingeteilt. Die Trauma läuft fast immer. DENN, gestürzt wird immer, wie ich immer sage. Mit unserer überalternden Gesellschaft, gibt es praktisch keinen Zeitraum, zu der kein Ü70 Jähriger stürzt. Es gibt immer einen Oberschenkelhals oder eine Hüfte zu operieren.

Der OP-Plan ab 16 Uhr konkurriert um die notwendig-zu-Operierenden. Ab jetzt kommt faktisch niemand mehr dran, der elektiv (geplant) versorgt wird. Sondern nur noch diejenigen, die akut gesundheitsgefährdet ist. So der Plan. Meist ist es nicht so. Das Ermessen liegt beim Chirurgen. Was soll ich sagen . . . so wird eben mal um Mitternacht auch mal ein kleiner Zeh versorgt, der ausgerenkt ist.

Gegen 19 Uhr ist meist nochmal eine ausgiebige Pause angesagt, mit Abendessen. Hier empfehle ich NICHT zu bestellen, denn das wird meistens kalt.

Wir haben schon bestellt und dann habe ich fälschlicherweise den Anteil des Oberarztes mit gegessen, eigentlich gefressen, denn ich war so ausgehungert (und die Bestellung fehlerhaft). So bleibt man natürlich in Erinnerung. Es gibt so einige Oberarztgeschichten, die erzählt werden sollten, aber ob diese Geschichten je das Weiß eines Papieres zu Gesicht bekommen?

Ich empfehle etwas Mitgebrachtes, denn wird es später, kann dies problemlos in der Mikrowelle warm gemacht werden. Ich nehme mir IMMER Ramen mit. Instantnudeln, die heiß aufgegossen, auch wirklich noch heiß sind. Denn, ich kenne es aus meiner Schwesternzeit, es wird einem irgendwann kalt. Wirklich kalt, und dann sind ein paar warme Nudeln Gold wert.

Und später

Gegen 22 Uhr bekommt man in ein Tief. Draußen ist es bereits dunkel. Meist sind hier aber hier noch alle Kollegen, inklusive einem selbst, aktiv. Das bedeutet mindestens 3 Operationssäle laufen.
Zusätzlich muss immer gewährleistet sein, dass noch jemand da ist, der den Schockraum entgegen

nehmen kann.

Rosa geht immer

Schockraum nach Wikipedia: Bestandteil der Notaufnahme eines Krankenhauses. Er dient der Erstversorgung schwerstkranker, beziehungsweise schwerverletzter bzw. polytraumatisierter Patienten. Das Ziel ist die schnellstmögliche Diagnostik und Therapie der lebensbedrohlichsten Erkrankungen oder Verletzungen. Daher wartet das medizinische Fachpersonal zur unverzüglichen Übernahme bereits im Schockraum auf den Patienten, wenn dieser durch den Rettungsdienst vorangemeldet ist.
Patienten in der Notaufnahme werden bis circa 23 Uhr vorstellig (gegen diese Uhrzeit wird es eigentlich ruhiger). Dies bedeutet, dass der OP bis mindestens 2 Uhr ausgelastet ist.
Meine Wohlfühlarbeitszeit ist da längst rum. Funktionieren muss ich trotzdem. Denn das erwarten Arbeitgeber und auch der Patient, egal wann er kommt.

Mitternacht vorbei

Gegen 2 oder 3 Uhr heißt es dann meist: 1. Versuch des Hinlegens. Tief durchatmen. Hier hat man den Großteil geschafft. Mein Weg führt mich meist über den Aufwachraum, wo man 75% der Patienten nach OP abgibt. Denn hier sitzen zwei Nachtschwestern, hellwach und motiviert einen aufzubauen. Auch hier ist es ein wenig wie ’nach Hause kommen‘. Ein kleines Gespräch, ein kurzer Plausch, Lachen und Runter kommen. Einer der Anker im 24-Stunden-Dienst.

Dann begebe ich mich zu meinem Bereitschaftszimmer. Meine Gedanken wandern nach Hause, zu meinem Mann und Hund, die längst im Bett liegen.

Krankenhäuser sind zu solchen Uhrzeiten gruselig oder doch entspannend, fast schon romantisch? Aus dem zweiten Stock, wo ich entlang gehen muss, kann ich in die Tiefe zur Notaufnahme sehen. Die Sitze sind frei, es ist ruhig, endlich. Die Lobby liegt in einem friedlichen Nachtlicht (oder sind das nur meine herabhängenden Augenlider?). Das einzige zu was zu Hören ist, ist das quietschende Geräusch der Sohlen meiner OP-Schuhe.

Oft lehne ich an der Holzreling, schaue und segle selbst mit meinen Gedanken wie die Patienten auf den Schwingen der Zeit davon. Denke dann daran, dass ich noch vor 20 Jahren den Traum hatte Ärztin zu werden, während ich im Harz darauf hoffte, aus der Engstirnigkeit des Dorfes heraus zu gelangen und dachte, dass dies nie möglich sein. Wie ich vor 10 Jahren mit dem Studium begonnen hatte und bittere Tränen in Chemie und Physik vergoss, dass ich es nie schaffen würde.

Diese Stimmung ist so verheißungsvoll, entspannend, etwas melancholisch. Dann scheint es nur das Universum und mich zu geben. Was für ein Glück ich habe und wie kleingeistig die Probleme, die einen tagsüber beschäftigen, doch sind.
Dann reiße ich mich zusammen und laufe Richtung Schlafgemach.

Wisst ihr wie ein Zimmer im Kloster aussieht? Ein Bett, ein Kreuz, spartanisch, praktisch, sonst nichts. So ist es auch bei uns. Wir haben aber kein Kreuz. Dafür aber einen Flachbildschirm erster Generation. Im Grunde das Gleiche. (Ich glaube, ich hatte ihn einmal an – der Versuch, ob er überhaupt funktioniert)

Ich putze Zähne, massiere meine dunklen Augenringe, steige in meinen Pyjama und lege mich ins Bett. Einen Pj? Ja, fühle ich mich wohler drin als totally naked oder in Op-Klamotten.
Auf einem alten Tischchen, den vermutlich ein netter Kollege mit gebracht hat, damit wir unsere Habseligkeiten nicht auf den Boden legen müssen, liegt auch das Diensttelefon.

Das Diensttelefon verhindert im Grunde, dass man die Tiefschlafphasen durchläuft. Ich habe es in den letzten Jahren nicht gelernt es zu ignorieren. Oftmals werde ich wach und habe es in der Hand und frage mich dann, ob es wohl geklingelt hat und ich es nicht mit bekommen habe.
Ich merke, wie ich weg schlummere. Dann ein Klingeln. Ich schrecke auf, weiß zuerst nicht wo ich bin. Irgendwie ist es kalt. Ich melde mich mit Namen und Fachabteilung.

Ich soll mich bitte bereit machen. Es kommt ein Schockraum in 15 Minuten unter laufender Reanimation. Ich nicke und merke dann, dass ich noch nichts gesagt habe. Lachen auf der anderen Seite – ich soll mich kurz sammeln.

Bald kommt Teil 2. Gespannt? Denn dann geht es in den Schockraum.

6 Kommentare

  1. So schön wieder etwas von dir zu hören aber ich muss sagen, ich habe Angst bekommen ins Krankenhaus zu gehen. Die Arbeitszeiten der Ärzte….das geht gar nicht. Wer hat sich das nur ausgedacht, warum kann man nichts dagegen machen? Ich bin sprachlos! Man kann doch nicht an einen Dienst noch einen Dienst anhängen… Liebe Grüße und Respekt vor deiner Leistung!!!

    1. Man kann auch keine zwei Dienste hintereinander machen. Die 24h-Dienste sind aber Realität. Einige Kliniken haben auf Schichtdienst umgestellt. Allerdings braucht man dafür auch mehr Personal. Und daran fehlt es ja!

  2. Du schreibst einfach toll, ich kann mir alles genau vorstellen, du nimmst mich mit in deinen Dienst. Die Vorstellung, dass du die Patienten behandelst wie deine Liebsten macht dich noch sympathischer. Vielen Dank für diese tollen Einblicke in einen stressigen und langen Arbeitstag. Danke, dass es Ärztinnen wie dich gibt.

  3. „Moderne Sklaverei“ – das ist was Assistenz Ärzte zur Zeit ausgesetzt sind! Assistenzärzte werden komplett verheizt, arbeiten am Rande ihrer gesundheitlichen Kräfte, haben null Zeit ihr eigenes oft junges Leben zu genießen. 80 Stunden die Woche und oft mehr, jede Woche , 24 Stunden Dienste jede Woche ohne Ausgleich, jedes zweite Wochenende Dienst. die meisten ohne Partner – wie denn auch? Wo sind hier die Gewerkschaften? Wieso ist das erlaubt in unserer Gesellschaft??? Es wird kippen, wenn junge begeisterte Abiturienten verstehen was es heißt in Deutschland Arzt zu sein, Assistenzarzt im Krankenhaus zu sein.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert