Wer mag schon gerne Füße?
Ja, es gibt sie. Die Fußfetischisten. Ich möchte aber mal behaupten, dass es sehr viel weniger sind als die, die sie nicht mögen. ‚Wenn ich nicht nach unten sehen, muss ich sie mir nicht angucken.‘ ‚Mit Socken drüber geht’s.‘
Dabei machen Füße so viel für uns. Imaginär treten sie provokativ in viele Hintern und tragen uns durch die Welt. Haben sie da nicht etwas mehr Wertschätzung vertragen? Und wie.
Ich mochte meine Füße schon immer gern. Sie sind nicht die Schönsten. Die kleinen Zehen sehen eher aus wie dicke Mini-Wini-Wiener. Und der große Onkel ist in seiner Form und Größe eher plump und quadratisch. Die Fesseln sind schön. Schlank und definiert. Genau der Teil, der bei Turnschuhen raus schaut. Es war immer ganz egal ob meine Körperform schlank oder gefühlt elefantastisch war – meine Füße passten immer in meine Lieblingsschuhe. Und mit Verlässlichkeit brachten sie mich in meiner Kindheit auf Bäume, mit dem Schlitten durch tiefen Schnee, auf Fahrradpedalen durch unebenes Gelände, durch lehrreiche Unitage, unzählige anstrengende Schichtdienste, Treppenhäuser hoch wenn die Fahrstühle ausfielen und nun in Gummipantoletten durch den OP.
Jahrelang habe ich sie in enge High Heels gequetscht, in schlecht belüftete Materialien gestopft, dessen Resultat ganze Turnhallen kontaminierte (zumindest die ein oder andere Nase musste unten dem Geruch leiden). Eingewachsene Zehennägel gehörten leider zu meiner Jugend, erst in den letzten Jahren konnte ich dieses Martyrium überwinden (bei Fragen gerne schreiben).
Aber vor allem mag ich es Füße zu zeichnen. Es ist schwer. Und erinnert mich immer sehr an Studien von Michelangelo, die unterschiedliche Darstellung von Körperteilen in ihrer schönsten Form.
Eine Ballerina weiß, was sie ihren Füßen zu verdanken hat, auch wenn Nägel und Zehen nach dem Training blutig verkrustet sind. Nun bin ich keine Ballerina. Und trotzdem ereilte mich das Schicksal, dass ich mich in den letzten Wochen auf die Wichtigkeit dieses Körperteils besinne.
Die andere Seite – ein schlechter Film
Am ersten Tag der OP, es war ein Dienstag vor 4 Wochen, hielt ich mich besser als gedacht. Mein Mann lieferte mich im Krankenhaus ab. Es gab keine Tränen, keine bedeutungsleeren Phrasen – so mag ich es. Nur ein ‚Ich lieb dich – aber das weißt du ja‘ – Augenzwinkern und er war weg.
Ich war gespannt, traurig weil ich nun allein war und mich ‚dem ganzen Neuen‘ allein stellen musste, angespannt – wie würde es von Patientenseite sein? Meine OP war mittags, mein Fuß geschwollen von der Erdanziehungskraft und dem Warten.
Und obwohl alle nett und lieb waren, fühlte ich mich im Patientenkittelchen und Netzhose nackt und ausgeliefert. Ein Gefühl, das anscheinend nur ein Patient kennt, wenn es los geht.
Während der OP, ich hatte eine Spinalanästhesie (Narkose übers Rückenmark), war also wach, schlief ich trotzdem. Die zwei Tage zuvor waren so kräfteraubend gewesen. Diagnose und Prognose hatten mir soviel Angst gemacht, dass ich nachts kaum schlafen konnte. Ich sah die CT- und MRT – Bilder nachts immer wieder vor mir, während mein linkes Fußgelenk mit einem eigenen Herzschlag zu pochen schien. Ich erkannte die Knochensplitter und -fragmente, hörte Worte wie Gelenkversteifung, Knorpelabrisse und chronische Schmerzen und Laufen-am-Strand-können-Sie-vergessen. Alles lief wie in einem schlechten Film vor meinem inneren Auge ab.
Wieder wurde mir bewusst wie wichtig Arzt-Patienten-Kommunikation ist. Ein unschönes Wort für wie alles beim Patienten ankommt. Und diese Machtlosigkeit gegenüber dem, was mir bevorstehen würde, umhüllte mich wie ein Kokon, in dem ich 24-Stunden am Tag gefangen war.
Und allen, denen ich in dieser Zeit begegnete, spielten ihre kurzen aber perfekten Rollen und verschwanden danach wieder aus meinem Leben.
Dann auf dem Zimmer, als die Anästhesie nachließ, wollte ich am liebsten den Löffel abgeben. Es gab keine Möglichkeit ein stärkeres Schmerzmittel zu bekommen und als kein anderes Schmerzmittel half, schlief ich irgendwann bei 30 Grad schwitzend in meiner Lache ein.
Die Nacht war bescheiden. Und während ich so da lag und entschied, dass die Decke einen Anstrich vertragen konnte, beschloss ich, dass es so nicht weitergehen sollte. Ich hatte Erfahrung als Krankenschwester und als Ärztin, es gab bis auf die Nichtbelastung des Beines keine Verbote.
Also stand ich auf. Mit Krücken ging ich erst auf Toilette und dann Duschen. Diese unbeschreiblich geile Gefühl der Normalität, wenn der Wasserstrahl über die Haut rinnt. Das Zurückerlagen der Kontrolle über den eigenen Körper. Die Pflege war überrascht, aber weder mürrisch noch böse. Solang ich meine Medikamente nahm, no problemo.
Im Großen und Ganzen muss ich gestehen, dass mich der Krankenhausalltag gefühlt kränker gemacht hat. Die Nacht über konnte ich vor Schmerzen kaum schlafen und tagsüber ging in einem 10-Minuten-Takt die Tür auf. Aber nicht wegen mir, sondern wegen meiner Zimmergenossin.
Privat, Gesetzlich – was ein Bullshit!
Ich hielt noch nie etwas von der vorherrschenden Zwei-Klassen-Gesundheitsversorgung. Und doch habe ich sie derart zu spüren bekommen, dass ich darüber berichten muss.
Ich habe durch meinen Status als Ärztin, schon mehr Prestige zu spüren bekommen als ein normaler Patient. Aber meine Nachbarin, Privatpatientin, mit ähnlicher Krankheitsgeschichte wie ich, bekam ein Ausmaß der Aufmerksamkeit, die schon für mich unangenehm war und ich lag nur daneben. Gemessen am: Essen – wir müssen leider wirklich darüber reden! Oh du mein heiliger BimBam. Einheitliche Farbe und versalzen, als hätte auch der Koch übermäßig an diesen heißen Tagen geschwitzt. Weder zum Frühstück noch zum Abendessen frisches Gemüse oder Obst. Wurst und Käse im Wellenformat wurden gereicht. Da aber Private im Raum anwesend waren, kam am Tag jemand vorbei, der einen frischen Obststeller reichte – natürlich nicht für mich.
Meine Bettnachbarin teilte mit mir. Ich bin ihr heute noch sehr dankbar. Der Geschmack einer Kiwi oder einer Birne kam mir selten subtiler vor. Erst da spürte ich, dass ich mich wohl möglich gesünder ernährte, als zuvor gedacht.
Wer hätte das gedacht.
Die Enttäuschung über den eigenen Körper oder absoluter Kontrollverlust
Ich war beim Bouldern gestürzt. Aus 3 Metern Höhe und war unglücklich aufgekommen.
Mein Leben lang hatte ich unterschiedlichste Sportarten betrieben, meinen Körper immer gefordert. Mich gesund ernährt. Ausreichend Calcium zu mir genommen. Und trotzdem ließ mich mein Körper in dieser Situation im Stich. Zumindest fühlte es sich so an. Mein einziges Manko, welches man mir ankreiden kann, ist leichte Adipositas.
Als ich vor Schmerz windend auf dem Boden lag und versuchte, der Situation Herr zu werden, konnte ich nicht glauben, dass das wirklich mir passiert sein sollte. Schweiß perlte in Bächen von meiner Stirn. Ich wollte bloß nicht ohnmächtig werden. Das ‚Oh mein Gott‘ kam unkontrolliert über meine Lippen und das unzählige Male und obwohl ich Atheistin. Sicher waren es nur die Bänder und ich war einfach ein DramaQueen. Wie konnte das sein? Ich war nur abgerutscht.
Als ich nach der OP entlassen wurde, war ich so froh zu Hause angekommen zu sein. Aber erst hier bot sich mir der härteste Kampf. Mein Mann würde mir bei allen banalen Dingen helfen müssen. Es waren noch immer um die dreißig Grad. Ich schwitzte, fühlte förmlich wie der Gestank durch die körperliche Anstrengung mit den Gehhilfen an mir empor kroch.
Wenige Tage zuvor war ich noch beim JP-Morgan-Lauf angetreten – meinen ersten Marathon. Nicht wirklich gut, aber ich war so stolz, trotzdem bei heißen Temperaturen angetreten zu sein.
Und nun saß ich auf einem Bierkasten in der Dusche mit ’nem gebrochenen Sprunggelenk auf einer kleinen Zwei-Sprossen-Leiter, weil ich allein nichts gegen meinen Körpergeruch machen konnte.
Ich heulte, wie ich nie zuvor geheult habe in den Armen meines Mannes.
Anderen geht es noch schlechter
Eine Vorstellung beim Orthopäden blieb nicht aus. Die weitere Versorgung musste geklärt werden, ebenso wie meine brennenden Fragen, wann ich wieder Arbeiten und Sport machen konnte.
Und so stellte ich mich beim kliniksinternen Orthopäden vor.
Eine Begegnung bleibt mir dabei unvergessen. Ich traf ihn vor der Orthopädie. In meinem Alter, vielleicht etwas älter. Er war sehr nett und zuvorkommend. Fragte, was mir passiert sei, da ich sehr traurig aussehen würde.
Ich ratterte es runter, immer noch gefangen in meiner eigenen Diagnose. Fragte ihn dann, was er von dem Krankenhaus halten würde. Er meinte nur, er würde es nicht mögen. Zu lange, hätte er hier drin liegen müssen.
Erst da fragte ich nach dem, was ihm passiert sei. Er sagte, dass er alle 4 Finger (bis auf den Daumen) bei einem Unfall verloren hätte. Bestätigend zeigte er seine rechte Hand, an der nur noch Daumen und ein kleiner Stummel des kleinen Fingers waren. Er könne es immer noch nicht glauben, dass dies passiert sei.
Das war der Moment, an dem ich buchstäblich wach wurde. Ich würde wieder Gehen, Laufen und Springen können, wenn auch vielleicht unter Schmerzen. Wie ignorant ich war. Er würde den Rest seines Lebens Probleme mit der Bewältigung von allem haben.
Für ihn war es nur eine kleine Begegnung beim Orthopäden, aber ich werde ihn im Gedächtnis behalten. Einen Mann, dessen Krankengeschichte ich besser kenne, als seinen Namen, nach dem ich wie immer nicht fragte.
Auf dem Rückweg verweilte ich einen Moment in den Katakomben des Krankenhauses in denen ich mich verlaufen hatte und weinte mal wieder bitterlich um meine Ignoranz und das Schicksal dieses Mannes.
Mittlerweile . . .
. . . sind 4 Wochen vergangen. Und wer hätte es gedacht, ich habe mich in meinem veränderten Alltag eingefunden. Ich wurde nach nur 2 Tagen Krankenhaus entlassen, weil die Kollegen der Meinung waren, dass ich mein Bein ebenso gut zu Hause selbst versorgen kann. Ich war selten erleichterter, aus dem Krankenhaus raus zu kommen.
Als erstes reduzierte ich die Schmerzmedikamente drastisch. Und zwar auf Null und nahm diese nur noch bei Bedarf. Täglich arbeite ich an meinen grün-blauen Flecken und Einstichen, einem Sternennebel gleich. Die Blutverdünnerspritzen sind auch bei mir Pflicht und das, obwohl ich mich viel bewege und auch wieder mit Sport begonnen habe. Ich war nie gut in Astronomie, aber ich könnte schwören, dass ich den großen Wagen am linken Oberschenkel hab.
Die Arbeit fehlt mir. Ich hatte Besuch von Freunden und Kollegen, war für kleine Ausflüge in der realen Welt und kollabierte erfolgreich bei heißen Temperaturen, weil ich mir zu viel zugemutet habe.
Pro Woche setze ich mir kleine Ziele, die ich zu erreichen versuche. Das geht von Kuchenbacken bis Staubsaugen. Mal mit Krücken Staub gesaugt? Da kann der Hometrainer einpacken.
Die Muskulatur meines verunfallten Beines schrumpfte bereits nach 2 Wochen merklich. Erschreckend dies mit anzusehen, aber auch faszinierend. Ebenso wie sich Gleichgewicht und Körpermitte verändern, wenn man nur das rechte Bein nutzt.
Mein Physiotherapeut war der erste, der an meiner mentalen Schraube positiv schraubte. Mit seinen Fingerspitzen ertastet er zwei Mal wöchentlich die gestaute Flüssigkeit in meinen Gelenken, drainiert die Lymphe aus dem Gewebe und massiert wie eine Dampfwalze über verkrampfte Muskeln. Knirsche ich schmerzhaft mit den Zähnen, grinst er gelegentlich. „Genieß es.“ Sein Feedback über Sehnen, Bänder und besser werdende Bewegung motiviert mich für die baldige Teilbelastung.
Die Narbe ist okay. Nicht meine erste und vermutlich auch nicht meine letzte. Aber meine Größte. Bisher waren es nur Fahrradunfallnarben. Ich trage sie ein bisschen mit Stolz. Irgendwann wird sie schmaler werden, verblassen. Aber sie wird sichtbar bleiben. Und wenn jemand fragt, was passiert ist, kann ich stolz sagen: ‚Das Leben.‘
Denn wer nicht lebt, dem wird nie etwas passieren.
Passt auf euch auf und gönnt euren Füßen eine kleine Kur, eure Mandy
Liebe Mandy,
ich wünsche dir weiterhin gute Besserung. Und Geduld. .. das sagen ALLE Ärzte ihren Patienten 😁