MandysNotizBlog

„Herzlich Willkommen, in Ihrem Leben als Assistenzärztin“

Hallo an alle Abwartenden . . .

. . . ja, ich bin es wirklich. Habt ihr euch Sorgen gemacht? Es ist nichts passiert. Und doch ist irgendwie alles passiert . . . willkommen in meinem (chaotischen) Leben als Assistenzärztin.
By the way. Wie ihr schon gemerkt habt, Zeit ist wie immer ein rares Gut geblieben. Deshalb werde ich mich in den nächsten Wochen und Monaten nur auf meine Schmollecke konzentrieren. Die Beiträge darüber sind leichter zu schreiben und brauchen weniger Recherche als die Aahhhh-wieder-was-dazu-gelernt-Texte.

Meine Symbiose

Meine ersten zwei Arbeitswochen sind vergangen. Oder sollte ich schreiben, dass ich sie überstanden habe? Im Moment bin ich mir da noch nicht so sicher. Ich schwanke täglich zwischen Feel-good und Was-zur-Hölle-tu-ich-hier?

Das Krankenhaus meiner Wahl liegt in Frankfurt, was auch sonst. Als ich mich bewarb, war mir klar, dass es nicht zu weit weg sein dürfte. Sich in Ffm auf den öffentlichen Nahverkehr zu verlassen ist wie eine zum Scheitern verurteilte Beziehung: frustrierend und nervenraubend. Ich wollte die Strecke wenn möglich mit dem Fahrrad zurück legen können.

Ich liebe mein Fahrrad. Wir haben so viel zusammen durch gemacht. Entgegen jeder Erwartung ist die Symbiose zwischen uns mit jedem Unfall größer geworden. Hätte ich mit 5 Jahren nicht den Unfall gehabt, bei dem ich fast Auge und Finger verloren habe und mich wenige Tage später wieder todesmutig auf den Sattel schwang, wäre meine Passion für Fahrräder vielleicht nicht so ausgeprägt.
Geht es mit meiner Unfallserie allerdings so weiter, werde entweder ich ein neues Fahrrad brauchen oder mein Fahrrad einen neuen Besitzer.

Nach den ersten 10 Arbeitstagen kann ich also sagen: richtige Entscheidung. Ich lerne Frankfurt wieder (wenn auch nur kurz) von der schönen Seite kennen. Es ist der Moment, wenn ich auf die Brücke Richtung Innenstadt abbiege. Der aufkommende Wind und der plötzlich helle Horizont, der mal nicht von Hochhäuserschatten unterbrochen wird, ist in den frühen Morgenstunden fast unbeschreiblich. Fast.

Lichtblicke

Der frühe Vögel könnt mich mal . . . aber der Moment lohnt

Der Verkehr ist im Vergleich zu anderen Uhrzeiten geradezu angenehm, mein Tritt in die Pedale wird langsamer, der Geruch nach ‚Seeluft‘ stärker und da ist diese Gefühl von Länger-Ausharren-wollen oder dass die Brücke bitte einfach einen Kilometer länger sein könnte. Die Lichtreflektionen auf dem Main lassen mich Frankfurt in einem anderen Blickwinkel sehen. Aber eben auch nur so lang, bis man die Brücke überquert hat und in die Skyline-Schlucht eintaucht.

Wie von Zauberhand verschwindet der Fahrradweg. Ein magisches Kuriosum, das öfter in Frankfurt vorkommt: plötzlich endende Fahrradwege.
Vermutlich auch der Moment, bei dem meine Mutter immer hofft, dass ich nicht den Helm vergessen habe. Dafür ruiniere ich mir gern die Locken auf eben jenem Kopf, der dadurch geschützt werden soll. Wenn ich aber so geschmeidig durch die Hochhaustäler rase, kommen mir da Zweifel. Was nutzt eine intakte Birne, wenn der Rest vom LKW zertrümmert wird?

‚Ich hab’s dir ja gesagt!‘

In dem Moment fällt mir immer der Film ‚City of Angels‘ ein. Meg Ryan, die charismatische Chirurgin, kurvt ohne Helm auf den Straßen von Los Angeles zum Krankenhaus und wird auf eben diesen auch von einem LKW hart tranchiert, während ihr ein noch schillernderer Nicolas Cage die Hand, in ihren letzten verbleibenden Sekunden, hält. Schluchz. Fantastischer Soundtrackeinspieler – epischer Filmmoment wurde kreiert. (Sarah McLaclan – Angel)

Um filmtechnisch einwandfrei zu zitieren, es passierte in ihrem Urlaub, sie hatte ihre Augen geschlossen und die Hände nicht am Lenker, wo sie eigentlich hin gehören. Und ja, auch der Helm fehlte. Der Film hätte ein Happy End gehabt, aber mit weniger Tränen und gebrochene Herzen und mit geringerem Einspielergebnis.
Ich kann euch versichern, wenn es passiert, gibt es keine epische Musik. Mit ein bisschen Glück hat man einen Filmriss (hahaha), kommt erst im Krankenhaus zu sich und wird nicht, getragen vom eigenem Vater, wach und sieht die Blutspur, die man selbst gerade selbst verursacht.

Also liebes Muttchen, ich radle als dickes Meg Ryan-Pendant MIT HELM ins Krankenhaus. Dann kann niemand bei meiner Naturbestattung auf einem Baumfriedhof behaupten ‚Ich hab`s dir ja gesagt!‘.

Welche Richtung bitte?

Mein Weg führt mich vorbei an der Alten Oper. Wieder so ein Moment in dem ich Inne halten möchte. Man kann fast nicht anders. Die Akustik in diesem Gebäude ist phänomenal und von außen eine Augenweide für das Renaissance liebende Herz.

Von hier sind es nur noch ein paar Kilometer bis zum Krankenhaus. Dort parke und verschließe ich meinen weißen Drahtesel, eher eine Drecksau, und hüpfe die Treppen zur Station hoch. Ja, ich bin verschwitzt und fertig, aber hab einen Großteil meiner Bewegung für den Tag schon geschafft.

Das ich mich Richtung ‚Innere Medizin‘ orientieren wollte, hab ich ja das ein oder andere Mal schon erwähnt. Zwei Fachbereiche spielten ganz vorne mit. Die Pneumologie (Lunge) und die Gastro-/Enterologie (Verdauungsorgane).
Noch immer kann ich mich nicht ganz entscheiden und werde wohl auch beide Bereich abklappern. Vorerst bin ich aber bei den Lungen gelandet. Und auch bei COVID. Schon wieder. Never ending story. Für uns alle.

Wie im Studentenleben

Und ich bin in einem Krankenhaus gelandet, welches ein Pendant zu meinem Studentenleben ist: immer knapp bei Kasse. Die Geschäftsleitung, meines Wissens nach keine Schwaben, führen einen sparsameren Haushalt als Dagobert Duck. Treffen Urlaub und Krankenschein aufeinander, kommt es zur Eskalation. Ich zieh mich im Arztzimmer um, da es (wie ich hörte, vorerst) keine Umkleiden gibt.

Eine Kantine, ein Café oder irgendetwas Vergleichbares gibt es nicht. Als ich das bei der Hospitation erfuhr, fand ich das weniger schlimm, da ich eh dazu neige eigenes Essen mit zubringen. Nur zwei Wochen später weiß ich um die Nachteile. Man macht meist keine richtige Pausen, sondern schlingt das Mitgebrachte meist beim Arztbriefeschreiben hinunter und knüpft auch weniger Kontakte. Was wirklich schade ist, denn auch Kollegen lernt man so nicht kennen.

Verwöhnt von einer großen Klinik, die sehr viel mehr Ressourcen zur Verfügung hat, fielen mir die ersten Tage unglaublich schwer. Klar gab es auch bei meinem alten Arbeitgeber Einsparungen. Wenn jemand mit BWL-Kenntnissen im Vorstand rum hantiert, rollen zuerst Personalköpfe, gern im ärztlichen, noch eher im pflegerischen Bereich. Der Posten, der nun mal am teuersten ist.

Der Kollege, der die heroische Aufgabe erhalten hat mich einzuarbeiten, ich nenne ihn mal Jay, hat am zweiten Tag schon aufgegeben mir zu sagen, Pause und Arbeit zu trennen. *Augenzwinkern*, er schafft es selbst nur selten.

Nichts läuft ohne Jay

Als Krankenschwester kenne ich meine Aufgaben und meinen Ablauf. Ich bin die Digitalisierung gewohnt und falle nun mit meinem neuen Arbeitgeber gefühlt zurück ins Mittelalter. Zu der Papierakte und dem Beginn mit ein paar Computern und Faxen. Ich erinnere mich zurück an meinen Arbeitsstart, bevor der Laptop die Patientenkurve ersetzte. Im steten Kampf um das wertvolle Relikt, den Heiligen Messias mit den Ärzten. Die Pflege muss Dokumentieren, Medis nachlesen. Die Ärzte müssen Briefe schreiben, die Visite machen. Nichts geht ohne Kurve. Es gibt nur ein Exemplar. Und ich versuche nicht die gleichen Fehler zu machen, wofür ich die Ärzte früher verurteilt habe. Und doch passiert es mir.

Die digitale Akte ist für beide Seiten zu öffnen. Es ist schnell zur Hand. Der Oberarzt fragt nach Blutwerten, CT-Bildern, Ergebnissen aus Untersuchungen? Sorry, hab ich noch nicht von allen Patienten im Kopf. Muss schnell nochmal die Akte holen . . . kommt richtig gut an bei Visite.

Ich scheitere an meinen eigenen Anforderungen, weil ich es von mir anders gewohnt bin. Und was ich nicht schaffe, muss Jay machen. Dem ich nach dem Dienst am liebsten heulend um den Hals fallen will, weil er Gott sei Dank an alles gedacht hat, was ich vergessen habe und nebenbei noch meine Arztbriefe liest, korrigiert und ergänzt.

Dieser Moment, wenn ich vor dem Bildschirm sitze und nicht weiß, wie ich richtig formulieren soll.
Und er bereits an meinen (vermutlich doch nicht so) stillen Seufzern hört, dass ich mal wieder eine Schreibblockade habe. Schwebende Finger über der Tastatur, die nicht wissen was sie tippen sollen – passiert mir nur selten. Aber der Chef- und Oberarzt will seine Unterschrift nicht unter einen Brief setzen, in dem der Krankheitsverlauf in Belletristik gefreestylt ist. Trotz Happy End.

Als das erste Mal mein Telefon klingelte, ging mir nur panisch durch den Kopf: ‚Verdammt, jemand hat sich meine Nummer gemerkt‘. Es war der Hausmeister, der mir sagte, dass mein Schlüssel fertig ist.
Beim zweiten Klingeln sagte ich meinen Namen falsch und beim drittel Mal meldete ich mich mit meiner alten Station. Leute, jedes Fettnäpfchen, ich spring mit Anlauf rein. Im Grunde bete ich jeden Tag, dass niemand merkt, dass ich nichts kann. Aber auch das, so sagte man mir, sei normal.
Beim Oberarzt Quiz-of-the-day fliege ich oft in der ersten Runde raus und ich arbeite gerade stark an meinen ersten Überstunden, damit Jay wegen mir und meinen Briefen länger bleiben muss.

Und nun, zwei Wochen später . . .

. . . ist es wie immer im Leben. Man richtet sich ein. Am Freitag war ich noch lang auf Station. Der Oberarzt konnte endlich mal ein paar seiner Überstunden abfeiern und wollte mit seinen Kindern ins Freibad. Jay hatte gerade die Tür mit den Worten ‚Schönes Wochenende. Denk nicht nicht nur an die Arbeit‘ hinter sich zu gezogen, als ich mich noch zwei Briefen widmete, die am Montag gebraucht würden. Ein günstiger Zeitpunkt, denn die Akten waren frei verfügbar. Ich führte noch ein Angehörigengespräch und unterhielt mich mit Patienten. Locker, entspannt, ohne Druck. In dem Moment hab ich mich das erste Mal ein bisschen als Ärztin gefühlt.

Letztes Jahr hatte mir jemand den netten Kommentar zukommen lassen: „Fang erstmal an zu Arbeiten, dann vergeht dir schon dein geschwollenes Gequatsche.“
Nett ist halt auch die kleine Schwester von Scheiße. Ich hab angefangen zu Arbeiten. Vielleicht weniger als manch anderer Assistenzarzt. Das Gequatsche bzw. Geschreibe ist mir trotzdem nicht vergangen. Zumindest nicht hier.
Und wenn ich bis jetzt noch nicht das Gefühl bekommen habe, Ärztin zu sein, erinnern mich die auszufüllenden Unterlagen von Versicherungen und Ärztekammer daran, wenn ich nach Hause komme: ‚Herzlich Willkommen, in Ihrem Leben als Assistenzärztin‘.

Bleibt gesund, eure Mandy

5 Kommentare

  1. Liebe Mandy, ich finde es einfach großartig, wie Du Deinen Arbeitsalltag packst. Da könnte ich mir ne Scheibe von abschneiden. Allein die Tatsache, dass Du es gewagt und geschafft hast, diesen Weg zu gehen, verdient meine absolute Hochachtung. Lass dies Dir gesagt sein, wenn mal wieder ein Tief kommt. Liebe Grüße – ich freue mich auf Deine Beiträge, wenn die Zeit es zulässt und wünsche viele schöne Momente für Dich auf Deinem Drahtesel.

  2. Liebe Mandy,

    ich lese zu gerne deine Postings. Und ich bin begeistert von deinen Bildern.

    Der /die Radfahrer*in ist genial! Du hast neulich Mal Bilder als Postkarten verkauft. Gibt es das auch? Das wäre das ideale 🎁 für meinen Papa zum 81. Geburtstag. Mit 16 hat er angefangen Radrennen zu fahren, mit 30 hat er sein Hobby zum Beruf gemacht und ein Fahrradgeschäft übernommen. Mit 40 hat er seinen alten Radfahrverein verlassen und mit 6 Freunden einen eigenen gegründet, nach 35 Selbständigkeit ging er in Rente und fährt seither fleißig weiter…

    Das Bild würde perfekt zu ihm passen.

    Herzliche Grüße
    Zentnerweib

  3. Ich bin Stationsleitung auf einer internistischen Station, Gastroenterologie 😀👍, und ich verstehe alles zu 100% was du schreibst . Die Einsparungen, der Kampf um die „Kurve“, die Visite mit Leistungskontrolle und und und. Jedes Jahr kommen neue Assistenten zu uns und meist halten sie sich an uns erfahrene Schwestern, was auch eine gute Idee ist!!! Ich denke das weisst du auch , war nur ein Tipp 😉.
    UND trotzdem ….was haben wir für einen tollen Beruf 👍. Lass dich nicht unterkriegen und schaffe dir Freiraum! Ich versuche meine Arbeit mit der Dienstkleidung in der Umkleide zu lassen und seit mehr als 30 Jahren gelingt es mir mal mehr und mal weniger, aber es hilft.
    Dein Blog liest sich so toll und ich wünsche dir weiterhin viel Erfolg bei allem was du schaffen willst 👍.

  4. Liebe Mandy.
    Ich war dieses Jahr mal wieder in der Ambulanz in einem Krankenhaus. Die Ärztin ist geflitzt und hat einen Marathon hingelegt. Die Gespräche waren knapp auf den Punkt gebracht und Fragen, die ich hatte, hatte ich mir glücklicherweise vorher auf einen Zettel geschrieben.
    Mein Gedanke war immer nur:“ Den Job möchtest du nicht machen und nerv sie bloß nicht.“
    Wir Patienten fühlen uns auch nicht wohl wenn ihr so unter Dampf steht.
    Das ihr bei dem Stress noch fröhlich bleiben und den Menschen helfen könnt, finde ich bewundernswert. Danke dafür mal stellvertretend an dich und hetz dich nicht zu Tode.👋

  5. Bitte bleib auch gesund Mandy. Kopf hoch. Es dauert immer etwas bis was zur Routine wird. 😉 Du wirst, nein bist, eine größarrige Ärztin. 😊

    Viele Grüße
    Nina

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