MandysNotizBlog

Gruß aus der Schmollecke – Herz & Hirn

Ich sitze hier nun schon seit geschlagenen 15 Minuten und grüble über den Grund meiner Novinophobie – meiner Angst davor, dass der Wein ausgeht. 15 Minuten sind für mich lang. An guten Tagen habe ich in dieser Zeit eine ganze A4-Seite runter geschrieben. Gefüllt mit Witz, Wissen und Anekdoten aus dem Leben.
Heute ist nur der Wein gesprächig. Vielleicht deshalb die Angst, dass die Flasche bald leer ist?

Seit Jobbeginn hat sich mein Leben um 180° gewendet. Um ehrlich zu sein weiß ich nicht genau, ob in die richtige Richtung oder in die falsche.

Möglicherweise habe ich meinen Plan Ärztin-zu-sein nie richtig zu Ende gedacht

Natürlich wollte ich immer Ärztin sein. Alles darüber hinaus war Wunschdenken. Menschenleben retten, Inselärztin werden (Himmel ja, ich weiß, dass sich das schnulzenromantisch anhört). Okay, hier die Wahrheit, ich hab nie gedacht, dass ich das hin bekomme.
Und dann die endgültige Prüfung, die gleichzeitig meinen letzten Tag als Studentin bedeutete. Oh Gott und nun? Bin ich jetzt etwa für Menschenleben verantwortlich? Der Prüfung-bestanden-Sekt diente gleichzeitig der Betäubung und Sedierung. Die Wochen danach hing ich in den Seilen. Und auch mit der Bewerbung ließ ich mir Zeit.

Wirklich Bewerben? Oder sollte ich nun meinen anderen Kindheitsträumen nach rennen? Archäologin werden? Fliegen lernen durch Armeausbreiten? Sandkastenchefin werden? Michael Jackson heiraten? Na gut, dafür ist es definitiv zu spät. Aber Phil Collins?
Ob ich durch Jo-Jo-Spielen noch berühmt werden kann? Leute, ich rate euch bei euren Träumen . . .

Hört auf euer Herz, aber nehmt vorsichtshalber euer Hirn mit!

Machen wir uns nichts vor – ich habe im Moment Angst vor meiner Arbeit. Oder viel mehr davor, meine Patienten zu töten. Eben noch auf Station, Jay als meinen Background, Der-sich-Kümmernde- und Mir-hinterher-räumende-Jay, wurde ich nun eiskalt in die stürmischen Fluten der Notaufnahme geschmissen.

DIE NOTAUFNAHME

Wir alle erinnern uns mit Herzchen in den Augen schwelgend an ‚Emergency Room‘. George Clooney als strahlender Kinderarzt (gut, bei uns gibt es keine Pädiatrie) rettete den Fernsehabend und brach die Herzen der Krankenschwestern. Egal ob der Schockraum danach einem Jackson Pollock glich. (By the way: bei unserem Chirurgen will man sich gern mal ein Bein brechen)

Eigentlich mag ich es eiskalt. So lernt man nun mal schneller. Das war bevor ich Ärztin wurde.
Jay hat mir in seiner unendlichen Weisheit ein nicht nur teures sondern auch kleines Notfallbuch empfohlen. Zuerst hab ich nach Adressen anderer Krankenhäuser gesucht (grins). Aber dieses Buch vermittelt auf jeder Seite so viel Wissen, dass ich mir jedes Mal wünsche, meine Kitteltaschen mögen doch bitte etwas größer sein. Zunehmend verspüre ich bei jedem Patienten, dass meine Aufnahme nicht detailliert, meine Arbeit nicht flott genug und meine ehemalige Genauigkeit abhanden gekommen ist.

Und damit kommen wir zu meinem Oberarzt

Immer eng beieinander: Herz & Hirn

Möge er dies nie lesen (noch mehr grins – Gott, der Wein wirkt endlich).
Ich bete diesen Mann an. Man nehme ein Anästhesiebuch, schlage es auf, lege ein Intensivbuch hinein, verpaare es mit einem Notfallmedizinbuch und heraus kommt, GENAU, mein Oberarzt.

Ich nenne ihn hier Noah, obwohl die Namensbedeutung ‚der Ruhebringer‘ ist und das ist er weiß Gott nicht. Er bringt den Sturm in mein Leben. Aber ich kann immer zu ihm kommen, wenn Not an der Mandy ist. Bei ihm lernt man, dass Geduld die Kunst ist, langsam wütend zu werden. Nein, Scherz beiseite.

Heute hatte ich meinen ersten Patienten mit Verdacht auf Herzinfarkt. Vor dem Team des Rettungsdienstes wirkte ich ruhig, aber innerlich hyperventilierte ich. Meine treue Notaufnahmeschwester, kurz Mica, merkte dies natürlich. Sie nimmt mir so viel ab. Regelt, organisiert und sieht darüber hinaus mit ihrer Tschüss-ich-bin-dann-mal-in-meinem-Feierabend-Sonnenbrille absolut mega aus.

EKG`s sind mein Horror

Deshalb will ich das unbedingt können. Bücher hab ich gewälzt, in meiner Abschlussprüfung sogar damit geglänzt und nun kippte ich bei meinem ersten Herzinfarktpatienten fast selbst mit einem um.

Mein erster Gedanke: ‚Noah anrufen‘. Nach der Erstversorgung des Patienten (okay, Auflösung, es war kein Herzinfarkt, das EKG war trotzdem crazy) schnappte ich mir das EKG und rannte damit wehend zu Noah. Und überbrachte es ihm in einem Wirrwarr aus Angst, Aufregung und etwas Todesangst. Und wenn Noah etwas nicht mag, ist es eine Mandy auf WirrWarr. Und so rückte er mich zusammen mit Jay innerhalb weniger Sekunden auf Kurs, sagte wie und was er übergeben haben möchte. Für genau solche Dinge bewundere ich ihn. Da er mittlerweile meine Arztbriefe sehr minutiös korrigiert – und wir reden hier von dem Lord of Pingeligkeit – könnt ihr vielleicht erahnen, was und wie seine Anforderungen sein.

Und genau das ist es, was ich von meiner Assitenzarztzeit möchte. Es ist eine harte Schule zu lernen, dass die eigene Genauigkeit nicht der entspricht, von der man dachte, dass man sie hat.

‚Vielleicht könnte ich ihm seine Pingeligkeit leichter verzeihen, wenn er nicht die meine verletzt hätte.‘

(Ach, Jane Austen, etwas abgewandelt sind deine Zitate einfach universell einsetzbar)

Komme ich ins Arztzimmer und seine Korrektur liegt auf meinem Schreibtisch, grinse ich innerlich. Auch wenn Noah denkt, dass ich ihn genau dafür nicht leiden kann. Die Schule, die ich schätze und erwarte.
Ich sehe meine fertigen Arztbriefe, die wie zu Schulzeiten von Rot-Kuli-Markierung förmlich bluten. Würde eine Schulnote drüber stehen, wäre sie im Bereich ‚Durchgefallen‘.

Die einzigen guten Arztbriefe, die ich mittlerweile schreibe, sind die der Sars COVID-19-Patienten, weil sie sich meist gleichen. Und die Anzahl der Briefe ist steigend. Und ich bin froh, dass Corona nur schwache Lungen befällt. Nicht auszudenken, wenn es schwache Gehirne angreifen würde . . . diese Flut an Patienten wäre für Frankfurt und Umgebung nicht machbar.

Das war böse? Okay, eine kurze Demonstration? Ein Patient, der versehentlich Spüli getrunken hat.
Ich hab ja auch schon Dummheiten gemacht. Das passiert jedem mal. Wichtig ist nur, dass man daraus lernt. Und die Zeugen beseitigt. Und umzieht.
Ich befürchte, wenn Corona vorbei ist, muss man mich erstmal wieder vorsichtig auswildern. Bei der ganzen Arbeit bin ich gar nicht mehr gesellschaftsfähig. Mein Homecoming-Zustand ist nicht mehr tanzbar.

Mein Mann drückt mir beim Durch-die-Haustür-Stürzen immer ein Glas Wasser in die Hand und fragt „Willst du mir davon gleich auf der Couch erzählen?“ und dabei ist er gar nicht mein Therapeut.

Aber das Beste . . .

. . . habe ich euch noch gar nicht erzählt. Mein erstes Gehalt ist da. Nein, ich habe nicht geheult. Ein bisschen habe ich auf den Anruf der Bank gewartet, die von einer fälschlichen Überweisung spricht, deshalb hab ich meinen Mann noch schnell zu Essen und Kino eingeladen, bevor es möglicherweise wieder abgebucht wird.

Könnt ihr euch noch an den Beitrag ‚Kauf mal Turnschuhe‘ erinnern? Ich hab mir neue Turnschuhe gekauft. Sie waren im Angebot. Natürlich. So Teure würde ich mir niiiiiiiieeeeeee kaufen. Aber nicht für Arbeit – dafür wurden ein paar Laufschuhe ausrangiert und offiziell auch schon mit Blut eingeweiht. Die New-as-hell-Turnschuhe werden nur privat getragen. Sind schneeweiß, wunderschön und aus Echtleder.
Ansonsten wurde das Geld nur in Essen investiert. In was auch sonst? Das ist etwas, was mir nie jemand weg nehmen kann. Sicher auf den Hüften geparkt.

Und so verbleibe ich ganz fleißig im Krankenhaus und rate euch bei allem was ihr tut:
Überlegt zuerst, ob euch das in der Notaufnahme peinlich sein könnte.
Bleibt gesund, eure Mandy

3 Kommentare

  1. Du kannst nur eine gute Ärztin werden. Du machst dir Gedanken! Und dein Oberarzt sollte vielleicht noch viele andere Ärzte zusammenrücken. Ich war jahrelang eine schlechte Arztgängerin. Vielleicht einmal im Jahr, wenn ich n Antibiotika bräuchte. Alles andere mit der Familie diskutiert, wie ich mir am besten selbst helfe. Entweder alles ausgehalten oder selbst behandelt. Warum? Es hat mich nie jemand ernst genommen. Und wenn mir eh keiner hilft, dann kann ichs auch selbst machen. Mit allem zur Arbeit geschleppt. Krankenscheine hab ich in 16 Jahren ne handvoll abgegeben. Solange der Kopf nicht unterm Arm hing, hab ich mich zur Arbeit geschleppt und ausgehalten. Ich wusste schon lange, dass was nicht mit mir stimmt, aber ich wusste, es sieht eh niemand und ich wollte nicht wie ein Simulant gesehen werden. Dann kam der kleinhirn Infarkt und alles andere und weil man mich mal wieder nicht ernst genommen hat, obwohl ich sogar nen rettungswagen gerufen habe, was bei mir nur erlaubt ist, wenn der arm ab ist und ich nicht allein fahren kann, selbst da wurde erstmal keine Diagnostik gemacht und alles auf die psyche geschoben. „Depression und Angststörung gemischt“ stand im PC meiner neuen Hausärztin. Vielleicht Migräne. Soll mal zum Neurologen. Der hat sein Buch abgearbeitet, mrt angeordnet. Es dauerte Monate bis ich eine Diagnose bekam, in denen ich kaum krauche konnte und in der Zeit mich die Hausärztin auch nicht behandeln wollte, weil ich rauchte und das der Grund meiner Beschwerden ist.. Weitere Wochen bis noch mehr festgestellt wurde. Warum auch beeilen, der kleinhirn Infarkt ist ja jetzt eh schon Monate her. Kann man nichts mehr machen. Vielleicht noch paar Antidepressiva? Eine so lange Geschichte und ich hänge immernoch mit ungeklärten Beschwerden in der Luft, weil keine Diagnostik gemacht wird. Hab doch jetzt genug. Alter kleinhirn Infarkt, bluthochdruck, aortenklappensklerose, cavernom im Hirn, da muss man doch nicht noch rausfinden warum ich die Beschwerden in den Gelenken habe, seit Monaten und den ganzen Tag und kein schwerzmittel hilft… Sorry für ungefragte Jammerei. Eigentlich wollte ich nur sagen: „Schau über den Tellerrand hinaus, mach eine Diagnostik, wenn was nicht 100%ig sichtbar ist und arbeite gründlich, dann wirst du so eine tolle Ärztin, wie jeder Mensch sie braucht.

  2. Wie immer hast du deinen „Notfall-Alltag“ einfach zum schmunzeln beschrieben.
    Es ist so schön, dass du auch von deinen Ängsten schreibst- schliesslich bist du ja Mensch 😄.
    Ich wünsche dir weiterhin lernendes und erfolgreiches Arbeiten mit vielen netten Kollegen und dankbaren Patienten, die zu bekommen 😉🍀

  3. Liebe Mandy,
    wieder einmal ein toller Beitrag und ein wunderschönes Bild. Ich lese Deinen Blog immer mit Begeisterung und fühle jedes Mal mit Dir.
    Ich wünsche Dir PatientInnen, die Deine Arbeit schätzen, gute Nerven für Deinen Mann 😉, weiter so verlässliche KollegInnen und natürlich Chefs, von denen Du viel lernen kannst.
    Liebe Grüße, Kathrin

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