MandysNotizBlog

Chaos im Kopf

Zu viel Zeit?

Ich hatte in den letzten Wochen nach der Prüfung verhältnismäßig viel Zeit. Ab und zu ins Krankenhaus, hier und da Kleinigkeiten zu erledigen, die auch tagesfüllend sein können. Aber ihr kennt es, wenn man arbeitet, denkt man so oft: Wenn ich Zeit hätte, würde ich das lang ersehnte Buch lesen, würde ich mich endlich mal wieder mit meinem Hobby beschäftigen. Dies und das erledigen, was ich eh schon seit Monaten vor mir her schiebe. So auch bei mir. Und dann kommt die freie Zeit und man bekommt auf gut Deutsch den Hintern nicht hoch.

Tschüss zur alten Arbeit

Es fehlte mir derart an Motivation, dass ich mich fragte, was nur mit mir los war. Während meines Praktischen Jahres waren die Tage so voller Arbeit, zu Hause dann Zeichnen, Schreiben schon während der Zugfahrt . . . die Fantasie schien aus jeder Pore heraus zu quellen. Ich wusste nicht wohin damit. Kaum war ein Gedanke zu Papier gebracht, verlangte der Pinsel nach weiteren Farben, anderen Formen. Kein Farbklecks war gut genug oder ausreichend. Papier ist geduldig? Aquarellpapier, so scheint mir, ist es nicht.
Ich habe viele Bleistiftskizzen angefertigt, die noch auf einen Farbanstrich warten. Habe Ideen, aber sie sind so viel weniger drängend als zur Studienzeit.

Und so erledigte ich Dinge, die einfach gemacht werden mussten. Gab meine Arbeitsschlüssel ab (nach 13 Jahren kommt einem der Schlüsselbund seltsam schmal vor), meinen Ausweis, Abschlussuntersuchung, organisierte erneut Papiere, die mein neuer Arbeitsgeber benötigt und so begann dann auch die letzte ‚freie‘ Woche. Es würde eine der Kräftezehrendsten werden. Weniger körperlich. Dafür mit vielen Tränen und dem Ringen nach dem Richtigen.

Rückblick: vor 4 Wochen

Als ich meine Bewerbungen verschickte, tat ich dies natürlich in den umliegenden Krankenhäusern. Der Weg zur Arbeit sollte nicht zu weit sein und mir trotzdem eine gute Assistenzzeit garantieren. Dennoch spielte ich mit einer Bewerbung auf Risiko. Ihr wisst vielleicht noch, dass es mich in den Norden zieht? An die Ostsee? So stöberte ich einen Nachmittag auf der Unikliniksseite von Greifswald und sah, das Assistenzärzte gesucht werden. Und bewarb mich Anfang Juli. Verschickte sie mit der Bitte um ein Online-Bewerbungsgespräch. Schmetterlinge, die gegen meine Magenwand prallten und zu spüren gaben, vielleicht etwas Verrücktes getan zu haben. Aber es fühlte sich so unglaublich gut an und richtig.

Vermutlich würde sich eh niemand melden. Und als weder Anruf noch eine Nachricht bekam, hakte ich es ab.

Anfang dieser Woche, . . .

. . . bereits einen Arbeitsvertrag zur Unterschrift auf meinem Tisch, war ich gerade auf dem Rückweg vom Bürgeramt, als ich eine Mail erhielt. Aus Greifswald. Wie nett, dass sie wenigstens absagen, dachte ich. Aber es war die Zusage zu einem Online-Bewerbungsgespräch. Ich stolperte über die Türschwelle in die Wohnung und heulte. Erst jetzt registrierte ich, wie sehr ich aus Frankfurt weg wollte. Das andere Krankenhaus, dessen Arbeitsvertrag ich auf dem Tisch hütete, nur eine Notlösung war. Aus Angst arbeitslos zu sein hatte ich der erstbesten Lösung zu gestimmt.
War etwa doch mehr drin, als ich mir erhofft hatte?

Ich wusste nicht wohin mit mir und meinen Gefühlen. Da war Freude, Aufregung, Aufbruchsstimmung, Angst und Panik und das alles gut durch geschüttelt wie ein Freitagabendcocktail.
Mit wem darüber sprechen bevor die Gefühle übermächtig aus mir heraus brachen? Mein Mann würde noch ein paar Stunden auf Arbeit sein. Ihn damit am Telefon zu überfallen wäre unfair. Zweifelslos würde eine Stelle in Greifswald bedeuten, dass wir hier alle Zelte abbrechen. Ein Hochgefühl überspülte mich bei diesem Gedanken. Ich rief mein Paps an. Das Gespräch endete mit den Worten ‚Das schaffen wir schon irgendwie‘. Und auch eine Freundin, die Unparteiische, riet mir zu dem Gespräch. Und so sagte ich zu. Was hatte ich zu verlieren?

Klartext

Kopf- und Bauchschmerzen plagten mich bis zum Abend. Keine Vorfreude meinem Mann davon zu erzählen. Und so verlief auch das Gespräch. Was aus seinem Mund kam, sagte ‚Schauen wir mal‘. Sein Gesichtsausdruck sprach eine andere Sprache. Und da wir keine Geheimnisse voreinander haben, sprachen wir Klartext. Weniger Existenzängste, mehr ‚zu plötzlich‘. Er würde sich von der Wohnungskündigung bis zum Umzug um fast alles allein kümmern müssen. Und wenn wir ehrlich sind, um so etwas kümmerte ich mich normalerweise. Seine Arbeit würde in Mecklenburg-Vorpommern nur einen Bruchteil dessen einbringen, was er hier bekommt.

In dem Moment, als Enttäuschung und auch Wut über mich hinwegfluteten und ich merkte, dass ich diese Traum wohl erst einmal begraben müsste, konnte ich ihm nicht in die Augen sehen. Hätte am liebsten einen Koffer gepackt und wäre allein Richtung Norden.
Ich hatte mir so sehr erhofft, dass er sich mit mir auf dieses Abenteuer einlässt. Schließlich wollte auch er aus Frankfurt weg. Immer wieder hatten wir in den letzten Jahren davon gesprochen. Und nun diese Chance. Am nächsten Tag sagte ich das Gespräch ab. Da ich in Bewerbungsgesprächen zu überzeugen weiß, hätte ich zu einer Hospitation und damit einem Jobangebot vielleicht nicht ‚Nein‘ sagen können.

Angst vor der Zukunft

Ich vergoss bittere Tränen an den Tagen danach. Stellte vieles in Frage. Auch meine Ehe. Kompromisse sind wichtig, von beiden Seiten. Ziele sollten eine gewisse Gemeinsamkeit haben. Ist dies nicht mehr so, sollte man früher oder später seine Konsequenzen daraus ziehen. Ich werde mich in absehbarer Zeit wieder bewerben. Ob er dann bereit sei wird?

Bis dahin liege ich trotzallem nachts wach. Im Grunde weiß ich, was dahinter steckt. Was mich in der Deckenhochburg aus Federn und weicher, frisch gewaschener Wäsche hält. Es ist meine eigene Zukunft. Und ich habe Angst vor ihr.

Setze ich morgens den Fuß auf den Boden, muss ich mich den unangenehmen Dingen des Lebens stellen. Vertragskauderwelsch einer neuen Arbeitsstelle, die nicht unbedingt zu meinen Gunsten ausgelegt sind. Das Verlassen meiner vertrauten Arbeitsumgebung und Kollegen, die mir seit vielen Jahren mehr Freunde geworden sind. Notwendigkeiten, die der Arztberuf mit sich bringt, wie eine Berufshaftpflichtversicherung. Denn auch wenn man als Arzt helfen will, wird man Fehler machen, für die man verklägt werden könnte. Die einen in den Ruin treiben können. Der Satz ‚Als Arzt steht man mit einem Bein immer im Gefängnis‘ wird mir erst jetzt richtig bewusst. Und auch der Begrüßungssatz eines Kardiologen zu seinem Unterricht:

‚Halten Sie Ihren Friedhof klein‘.

Nun habe ich eine Verantwortung, die mir, wenn ich nachts wach werde, fast den Atem raubt. Ich starre an die Decke, sehe die Schatten der Äste, die der voller werdende Mond daran wirft. Und der Wind, der leichtfüßig mit ihnen spielt und sie über die Wände tanzen lässt.

Meine Intuition war immer zu Helfen. Um ehrlich zu sein, hatte ich nie vor überhaupt einen ‚Friedhof‘ anzulegen. Vielleicht wird mich diese Angst antreiben vorsichtig zu sein, alles doppelt zu prüfen. Nachts scheinen alle Gefühle so übermächtig. Nichts anderes da, was einen vom Grübeln ablenkt. Und auf einmal ist diese Angst vor der Angst so viel größer als die Kissenmauer und der weiche Zufluchtsort der Decken.

Dann ziehe ich mir die Bettdecke bis zur Nasenspitze. Sage mir, dass diese Angst berechtigt ist, mir aber nicht den Schlaf rauben sollte. Mein eigener Kopf mir einen Streich spielt. Unter der Decke taste ich nach der Hand meines Mannes. Er drückt sie, mehr aus Reflex heraus, denn er schläft schon seit einigen Stunden. Sie ist warm und ich spüre die groben Schwielen seiner Finger. Ihm ist es zu verdanken, dass ich die letzten Jahre fast unbeschwert Studieren konnte. Seine harte Arbeit hat ein regelmäßiges Einkommen gebracht. Und er tat es, ohne sich je zu Beschweren.
Wir haben ein Dach über den Kopf, ein warmes Bett, einen Kühlschrank voller Essen und sind gesund. Und das ist so viel mehr, als im Moment manch anderer hat. Ich atme tief die kühle Nachtluft ein und spüre, wie ich mich langsam beruhige. Die Angst abebbt.

Prüfungen

Inmitten dieser wunderschönen Welt, diesem Segen ein Leben zu haben, ist es manchmal verdammt schwer die Prüfungen zu bestehen, die auf einen zukommen und die das Leben bereit hält. Und es wird immer Neue geben. Wir entscheiden uns für das Durchhalten, für das Gute, für das Leben. Weil es das Richtige ist.

Jeden Tag werden wir etwas mehr wachsen. Zu einem besseren Menschen. Gestern war ein schlechter Tag? Egal. Heute ist ein Neuer. Veränderungen, so groß sie auch sind, bergen Chancen. Wir müssen nur den Mut haben die Kissenmauer nieder zu reißen, den Fuß auf den Boden zu stellen und den Tag zu beginnen. Und hoffen, dass da jemand ist, dessen Hand wir nehmen können, wenn wir Hilfe brauchen.

Bleibt gesund. Eure Mandy

9 Kommentare

  1. Ein sehr bewegende und ehrliche Geschichte, aus dem wahren Leben. Danke 🙏 du hast mich voll erreicht und mitgenommen! Du könntest auch ein Buch schreiben, ich würde es sofort kaufen 😉 alles gute für Deine bzw. Eure Zukunft. Egal wo..,

  2. Liebe Mandy,
    ich liege in Greifswald im Hotel Galerie im Bett und freue mich auf die Fahrt nach Usedom.
    Ich folgte Dir bei Ww länger, Ich bin Ärztin für Kinder- und Jugendpsycjistrie am Ende meines Beruflebens.
    Ich habe mich oft zweimal entschieden. Nach der ersten Entscheidung gemerkt, sie macht mich nicht glücklich. Sie macht mich schwer.
    Dann habe ich alles rückgängig gemacht und mich neu entschieden.
    Greifswald ist wunderbar. Folgende Deinem Herzen und die Anderen folgen Dir.
    Andrea

  3. Oh ja, manche Lebensentscheidungen sind schwerer zu treffen als andere. Wochenendbeziehungen sind nicht immer optimal.
    Dein Mann hat für dich und deinen Traum gesorgt. Mit dir durchgehalten. Das ist eine grosse Lebensprüfung.
    Wenn die optimale Stelle für dich kommt, wird deine Entscheidung leicht und dein Mann trägt sie mit dir.
    Ich wünsche dir die Erfüllung deiner beruflichen Wünsche und bin sicher, du findest sie.
    Ich freue mich, auch weiterhin von dir zu hören.
    Eine starke, Frau mit großem Durchhaltevermögen, Humor und einer sagenhaften Kreativität folge ich sehr gerne 😀

  4. Moin. Da bin ich sowas von bei Dir. Mein Ausreißer wäre BiBu beim WWF in Hamburg gewesen. Raus aus dem Rhein-Main-Beton, nah am Wasser, auch immer mit einem Bein im … ein Gesetz falsch gelesen, eine zweifelhafte Entscheidung mit getragen, -aber im schönen Norden.

    Mein Göttergatte hängt hier fest. Punkt.

    Scheidung und Küste oder was?
    „Oder was“ ist es geworden.
    Manchmal zweifel ich noch. Manchmal.
    Das Leben ist kein Wunschkonzert. Das Leben ist ein Miteinander mit Kompromissen und und und. Was bringt es Dir, wenn Du Dein ganzes Leben über den Arbeitsplatz und die Location definierst? Macht das glücklich?
    Im schönen Norden mit einen frustrierten unterbezahltem Gatten? Abends nach Stuuuunden müde aus dem Job heim. Wie oft siehst Du den schönen Hafen, die Ostsee, wirklich? Und wieviel (Frei-)Zeit verbringst Du müde von der Arbeit dann mit dem unterbezahlt frustriertem Gatten?
    In Oberstedten, am Forellengut, da gibts schöne Waldwege fürs Wochenende und wenn ihr beide gut verdient, dann igdwann eine kleine Ferienwohnung an der Ostsee, bezahlt, Euch, mit Wohlfühlfaktor für beide.
    🌞💗🌞

  5. Ich kann Dir gut nachfühlen, wohne auch in Rhein Main Gebiet und warte quasi jeden Tag darauf, hier weg zu können. Mein erster Impuls war: „Geh! Hau ab, so lange Du noch kannst!“ Denn noch ist es nur ein erwachsener Mensch, der dich abhält. Der nicht von Dir abhängig ist und seine Entscheidungen zunächst für sich trifft. So wie Du für Dich. Und Rücksicht und Dankbarkeit sind nett, aber nur, so lange die Konsequenzen Dir nicht das Strahlen nehmen. Lass es nicht erlöschen, bitte! Menschen wie Du sind selten und dürfen nicht wie alle anderen werden.

  6. Liebe Mandy,

    ich fühle mit dir. Die Situation ist schwierig und du hast erwachsen entschieden. Ich war vor einigen Jahren in einer ähnlichen Zwickmühle. Bin auch Exil-MeckPommerin und der Wunsch „nach Hause“ überkommt mich immer wieder. Ich habe damals mit meinem Mann die gleiche Entscheidung getroffen wie du jetzt. Dennoch schmerzt es stetig und immer wieder und wenn du ehrlich bist, wirst auch du immer eine Rüganerin bleiben. Ich würde mich an deiner Stelle mit deinem Mann noch mal hinsetzen und einen Plan machen. Vielleicht war es jetzt wirklich alles zu schnell. Aber setzt euch ein Limit. Zwei Jahre sind ein guter Zeitraum, um zu organisieren, trotzdem beruflich Erfahrung zu sammeln und einen Umzug gut geregelt über die Bühne zu bringen. Solange keine Kinder im Spiel sind, ist ein Zelte abbrechen immer noch recht einfach zu händeln. Spätestens dann kommt die Sehnsucht nach Heimat noch mal mehr auf. Du willst sicher auch deine Familie in der Nähe haben, wenn ihr euch mal für Nachwuchs entscheidet. Also.. bleibt dran und vor allem mit deinem Mann im Gespräch.

  7. Liebe Mandy, wir hatten auch mal so eine Situation, als mein Mann einen Karrieresprung machen konnte. Mein kluger Arzt sagte mir damals: Whatever you do, love it, change it or leave it! Wir fanden einen Kompromiss, mit dem wir alle ( auch die Kinder) leben konnten, aber es war nicht einfach. Deshalb hoffe ich, Du kannst das Beste aus der derzeitigen Situation machen und dann einen guten Weg für die Zukunft finden! Wenn MeckPomm für Deinen Mann nicht geht, vielleicht wäre S-H besser? Lübeck z.B. hat auch einige Krankenhäuser und die Uniklinik! Alles Gute und liebe Grüße, Andrea

  8. Ich bin von deinen Beiträgen immer wieder mitgenommen…….
    Diesmal habe ich Tränen in den Augen. Bin in eine Zeit vor vielen Jahren zurück versetzt. Die Stellung der Frau war eine andere, aber ich war schon immer recht selbstbestimmt. Es war recht schwierig manchmal……

    Du bist eine starke,kluge, tolle Frau.
    Diese schlaflosen Nächte kennen wir vermutlich alle. Sie gehören zum Leben und lassen uns nicht in den Schlaf kommen, aber sie sind eine Chance zu wachsen.

    Du triffst die richtige Entscheidung – für diesen Zeitpunkt. Und wenn Du meinst, dich irgendwann anders entscheiden zu müssen, ist ein neuer Zeitpunkt für Überlegungen.

    Ich schick dir viele liebe Gedanken. Du triffst die richtige Entscheidung ♥️🫂🍀
    Alles Liebe
    Ursel

  9. Liebe Mandy! Auch ich kenne solch eine Zwickmühle. Wir setzen uns immer ZUSAMMEN Ziele und machen einen Zeitpunkt aus wann wir uns über neue „Lebensziele“ unterhalten, z.b. der nächste halbrunde Geburtstag. Wir suchen immer eine Lösung hinter der beide stehen können. Da muss leider immer einer auch ein bisschen zurück stecken, auch wenn es weh tut. Wir haben einen Umzug noch nicht realisiert, aber noch im Blick.
    Durch den Verdienst hier haben wir uns aber eine Zweitwohnsitz nur für uns im Norden leisten können.
    Ich wünsche Euch alles Gute 🍀🍀🍀

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