Ich möchte euch in meiner neuen Reihe in die Welt der Gefäße und Kreisläufe entführen. Öde? Langweilig?
Na gut, ich freue mich auf die Herausforderung, euch vom Gegenteil zu überzeugen (Ärmel hochkrempeln). Und euch zu beweisen, dass es viel mehr gibt als Krampfadern, lästige Blutentnahmen und die Erinnerungen an ‚Es war einmal das Leben‘.
Wenn ich an Gefäße denke, fallen mir sofort, und ich hoffe ihr könnt mir verzeihen, Männer ein. Ich liebe es, wenn bei Männern an den Armen die Gefäße zu sehen sind (und das nicht nur, weil man so toll Blut abnehmen kann). Ganz selbstbewusst schiebe ich die Schuld natürlich auf die Evolution: Gefäße an den Armen bedeuten eine gut versorgte, kräftige Muskulatur; eine kräftige Muskulatur bedeutet Stärke und dies wiederum, dass mich niemand an den Haaren aus einer Höhle zerrt, wenn ein starker Beschützer an meiner Seite ist. Ja, ich weiß, die Zeit des ‚in-der-Höhle-Hausens‘ ist Vergangenheit. Gegen dieses Überbleibsel kann ich aber rein gar nichts tun.
Dieses ‚Höhlengleichnis‘ (Platon möge mir verzeihen) zeigt aber einen wichtigen Aspekt: Gefäße sind zum Transport von Blut und zur Versorgung mit Nährstoffen da. Sie schlängeln sich wie Pipelines durch unsere Arme, Beine, Bäuche, Hälse, Organe und versorgen jede Art von Gewebe.
Der Weg des Blutes
Wir sind ein kleines rotes Blutkörperchen – ein Erythrozyt, kurz Ery (willkommen in der Welt des medizinisches Fachsimpelns). Unsere Aufgabe ist der Transport von Sauerstoff. Wir bringen ihn dahin, wo er gebraucht wird. Unser heutiges Ziel ist die Muskulatur in den Beinen, denn wir absolvieren (schon wieder) unser regelmäßiges Sportpensum.
Momentan sind wir aber unbeladen (sauerstoffarm) und in der rechten Herzkammer. Der Blutstrom reißt uns mit aus der Kammer in die Arterie Richtung Lunge. Der Weg ist kurz im sogenannten kleinen Kreislauf zwischen Herz und Lunge. Im Lungengewebe angekommen sind wir direkt an den Lungenbläschen, wo der frische Sauerstoff schon auf uns wartet und uns aufgebuckelt wird – der Gasaustausch findet statt. Zum Glück ist ein Sauerstoffmolekül leicht; offiziell sind wir jetzt sauerstoffreich, oxygeniert. Aus dem Lungengewebe hinaus bringen uns die Lungenvenen. Wir schießen zurück Richtung Herz und landen im linken Vorhof. Wo wir aber nicht lange verharren. Wir gelangen durch eine Herzklappe in die linke Kammer. Die Herzkammer spannt sich an und stößt uns hinaus in den Aortenbogen, dem ersten Teil des Körperkreislaufes – wenn wir jetzt die Arme hoch machen, rauschen wir in einer atemberaubenden Achterbahnkurve an den Arterienabfahrten Richtung Kopf und Armen vorbei Richtung Brustkorb.
Bevor die Aorta durch das Zwerchfell durchtritt, gibt sie einige weitere Arterienäste zur Versorgung von Speiseröhre, Lunge, Brustwand ab. Wir lassen das Zwerchfell hinter uns, fließen jetzt durch die Bauchaorta und versorgen mit dem sauerstoffreichen Blut alle Organe, an denen wir vorbei kommen: Magen, Leber, Milz, Bauchspeicheldrüse, den kompletten Darm, Nieren und Nebennieren, Eierstöcke, Hoden, Bauchwand und Rückenmuskulatur.
Auf Höhe des Beckens müssen wir uns entscheiden: rechtes oder linkes Bein? Okay, rechtes Bein – wir preschen durch den Oberschenkel zu den Waden. In diesen Muskeln wollen wir unseren Sauerstoff abgeben und nehmen die Ausfahrt, sonst würde es weiter Richtung Fuß gehen. Unsere Geschwindigkeit wird gedrosselt, weil die Arterien immer kleiner werden – sie heißen hier Arteriolen. Langsam müssen wir uns ‚einreihen‘, denn wir erreichen gleich die Kapillaren, die von der Größe mit einem Haar vergleichbar sind. Hier drängeln wir uns mit vielen anderen Erys rum und sind wie in einer Geldrolle hintereinander aufgestapelt. Wir sind jetzt ganz langsam, können unser Sauerstoffatom abgeben und kommen endlich wieder in ein etwas größeres Gefäß – die Venole. Sie mündet in die Vene, die eine richtig schwere Arbeit leistet – sie pumpen uns entgegen der Schwerkraft Richtung Herz. In den Venen sind wir langsamer unterwegs als in den Arterien, aber das ist okay. Der Sauerstoff ist ja schon abgegeben. Zwischenzeitlich kommt aus allen anderen Bauchorganen ebenso sauerstoffarmes Blut. Unser Ziel ist, nachdem wir den Bauch durchquert haben, der rechte Herzvorhof. Hier warten wir kurz bis sich die Kammern entspannen und der Vorhof uns in die Kammer drückt, damit wir erneut zur Lunge aufbrechen können, um uns mit Sauerstoff beladen zu lassen. Wir haben unseren Ausgangspunkt erreicht.
Dieser ganze Vorgang dauerte circa 1 Minute – da wir aber Sporteln sogar nur 20 Sekunden. Beeindruckt?
In Teil II erzähle ich euch etwas über Arterien und Krimi-Fans erfahren, was wirklich bei einem Kehlschnitt durchtrennt wird. Ja, ich bin fasziniert von der Rechtsmedizin. Hoffentlich habt ihr bereits gemerkt, dass ich kein Blatt vor den Mund nehme und der Tod für mich ebenso zum Leben gehört und von mir thematisiert wird, wie alle anderen Vorgänge im Körper. Ich freue mich schon auf das nächste Mal.
Bis dahin . . . bleibt geschmeidig. Eure Mandy